Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
Schaltfläche »allen antworten« klickte, statt nur Fred eine Antwort-Mail zu schicken.
»Ich glaube, Jack würde eine ›passive‹ Rolle als Vorsitzender des Verwaltungsrats annehmen«, hatte Bijan geschrieben. »Dann läge es ganz bei Ev, zu entscheiden, ob er mit Jacks neuer Position leben könnte.« Bevor ihm klar wurde, was er tat, hatte er schon auf »senden« geklickt.
Unmittelbar darauf schaute er sich den Postausgang an und sagte das, was er Fred dann in einer weiteren E-Mail schrieb: »Fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck fuck«.
Dann schickte er umgehend eine zweite E-Mail an Jack hinterher: »Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie diese Nachricht bekommen. Aus dem Zusammenhang gerissen, könnte es wirklich einen falschen Eindruck erwecken.«
Aber es war zu spät. Jack wusste, was kommen würde.
Unter Wasser Sandburgen bauen
Der Sommer 2008 neigte sich dem Ende zu, mit dem September kam der Herbst, und Jacks dreimonatiger Aufschub begann.
Jack hatte zwar nach der versehentlich verschickten E-Mail mit Bijan gesprochen, aber er glaubte, er könne seinen Rauswurf aus der Firma noch irgendwie verhindern. Sofort schaltete er in den Panikmodus und rief die Führungsriege von Twitter zu einem Meeting, um seinen Schlachtplan zu verkünden.
»Bevor wir anfangen, möchte ich kurz die Ereignisse der letzten Woche ansprechen«, sagte Jack. »Für mich war es ein Weckruf.« Er übernahm die Verantwortung für die Probleme bei Twitter und räumte ein, dass eine starke Führung fehlte. Einen Teil der Schuld gab er aber auch Ev und Goldman und erklärte, er müsse seine Vision für die Firma umsetzen, nicht ihre. Außerdem gab er zu, dass Twitter »in größerem Rahmen denken« müsse, wie Ev es vom ersten Tag an vertreten hatte.
Aber Jacks Vorstellung von einem größeren Rahmen bezog sich nicht darauf, die endlosen dreißigstündigen Ausfälle zu beheben oder etwas gegen die SMS-Rechnungen in Bankraubdimensionen zu unternehmen. Vielmehr zielte sie, wie Jack in einer E-Mail an Fred und Bijan darlegte, darauf, »an vorderster Front dieser historischen Präsidentschaftswahlen 2008« zu stehen.
»Wie wir in der Vergangenheit immer wieder betont haben, machen Ereignisse und weithin geteilte, unmittelbare Erfahrungen das Wesen und die Faszination dessen aus, was Twitter der Welt zu bieten hat«, schrieb Jack an den Verwaltungsrat. »Und das größte gemeinsame Ereignis, für das wir planen können, besitzt schon jetzt Zugkraft bei unseren Nutzern, passiert direkt vor unserer Nase, wird uns einer breiten Nutzung zuführen und rückt rapide näher.« Dann rührte er die Werbetrommel: »Twitter wird an vorderster Front dieser historischen Präsidentschaftswahl 2008 stehen. Ob wir etwas unternehmen oder nicht, es wird riesig für uns werden. Stellt euch vor, wie groß es werden könnte, wenn wir es als Unternehmen voll und ganz unterstützen würden.«
Als die anderen die Mail lasen, war keiner von ihnen von der Idee angetan. Fred: »Das löst unsere Probleme nicht!« Bijan: »Ach, Jack.« Ev: »WTF!« (What the fuck! – Was soll der Mist!) Goldman: »Was zum Teufel denkt der sich?«
Blogger hatte diesen Weg schon früher ausprobiert. Vier Jahre zuvor war Goldman zum Nationalkonvent der Demokraten nach Boston gefahren, um die Teilnehmer und die Medien zum Bloggen zu überreden. Dort hatte er selbst erlebt, dass Leute, die diese neuen Technologien nutzten, es aus eigenem Antrieb taten, aber nicht, weil ein Unternehmen sie dazu drängte.
Goldman erinnerte sich noch lebhaft an die amerikanische Präsidentschaftswahl 2004. Er hatte Noah in Kalifornien angerufen, ihm die Szene in Boston beschrieben und einen Podcast aufgenommen, der die apokalyptische Szenerie mit Tausenden Bostoner Polizisten und Demonstranten schilderte.
Als die Präsidentschaftswahl 2008 näher rückte, war von Podcasts und Blogs keine Rede mehr. Ein neuer Begriff hatte die herkömmlichen Formen von Politik und Medien überlagert: Twitter.
Draußen nutzten Demonstranten den Dienst, um große Demonstrationen gegen die Polizei zu organisieren. Drinnen nutzte ein junger Senator aus Illinois namens Barack Obama Twitter, um Politik und Wahlkampf an der Basis aufzumischen und, wie er hoffte, die Wahl zu gewinnen. Und die Medien, darunter auch die Huffington Post , hatten Twitter-Accounts eröffnet, um aktuelle Echtzeitkurzmeldungen von den Konventen zu bringen.
In Wirklichkeit brauchte Twitter gar nichts zu
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