Twitter: Eine wahre Geschichte von Geld, Macht, Freundschaft und Verrat (German Edition)
den Weg zu Fred und Bijan.
Auf der Straßenbahnfahrt zur Arbeit ging ihm das Treffen nicht aus dem Kopf. Die Metallräder klackerten und quietschten auf den Schienen, während er versuchte, sich die letzten Gespräche mit dem Verwaltungsrat in Erinnerung zu rufen. Er starrte aus dem Fenster und fragte sich, warum Fred und Bijan ihn sprechen wollten. Er versuchte wie ein Detektiv aus einem Agatha-Christie-Krimi, nur anhand einer knappen E-Mail ein Treffen zu entschlüsseln, das erst in zwei Tagen stattfinden würde.
Als Jack aus dem Aufzug stieg und das Twitter-Büro betrat, begrüßte ihn schon im Gang der vertraute Duft von Filterkaffee. Er ging geradewegs zu Evs Schreibtisch in der Hoffnung, Ev säße wie durch ein Wunder oder einen schleierhaften Zufall bereit, um Fragen zu beantworten.
Aber Evs Schreibtisch war leer. Sein Schreibtischstuhl stand verlassen da. Sein Computer war aus.
Da sich seine Beklommenheit auch im Laufe des Nachmittags nicht legte, beschloss Jack, Ev eine E-Mail zu schreiben und ihm einige Fragen zu stellen. Er klickte auf »senden« und wartete. Wartete auf eine Antwort. Einen Anruf. Eine SMS. Darauf, dass Ev an seinem Schreibtisch erschien und erklärte, was vorging.
Ev reagierte nicht.
*
Fred rieb sich die Augen und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht gegen die Müdigkeit, die ihn plagte. Es war Dienstagmorgen, und nach dem sechsstündigen Flug von New York war er wie gerädert. Außerdem ging ihm allmählich die Geduld aus, da das Gespräch sich offenbar im Kreis drehte.
Bijan ergriff wieder das Wort, während Ev in seinem Wohnzimmer hin und her ging und seine Füße über den flauschigen weißen Teppich und den dunklen Hartholzboden glitten. Im Hintergrund wachte das Bücherregal mit Marketing-, Management- und Wirtschaftsbänden über sie. Sicher fanden sich darunter auch Titel zu dem Thema, wie man einen Firmenchef feuert.
Die drei unterhielten sich nun schon geraume Zeit über diese Frage, über die sie in Abwandlungen in den vergangenen Monaten schon mehrfach gesprochen hatten.
»Was ist, wenn er zu Facebook geht«, hatte Bijan schon mehr als einmal gefragt. »Wir müssen irgendwie dafür sorgen, dass das nicht passiert. Es würde einen verheerenden Eindruck für Twitter machen, wenn der Gründer zu Facebook ginge.«
»Er geht nicht zu Facebook, verdammt«, lachte Fred, verdrehte die Augen in Richtung Bijan und legte wie üblich die Hand ans Kinn. »Hören Sie, soviel ich weiß, ist er völlig geblendet von Zuckerberg, aber er wird nicht da arbeiten.«
»Könnte er aber«, wandte Bijan ein und schlug vor, der Verwaltungsrat sollte Jack zum Vorstand für Produktentwicklung oder Verwaltungsratsvorsitzenden machen oder ihm eine andere Führungsposition bei Twitter geben, sobald er ihn als Vorstandschef absetzte, um sicherzustellen, dass er nicht zur Konkurrenz wechselte.
Aber diese Option hatten sie gar nicht. Als sie Jack seinen dreimonatigen Aufschub gewährt hatten, hatte er vehement erklärt, wenn es nicht liefe, werde er nicht unter Ev arbeiten.
Im Laufe des Vormittags lief Ev mit dem Telefon in der Hand auf und ab und schaute alle paar Minuten nach, ob einer seiner Vertrauten – wie sein guter Freund und Twitter-Investor Chris Sacca – angerufen hatte, um ihm in dieser Sache einen Rat zu geben.
»Ich werde ihm keinen verdammten Sitz im Verwaltungsrat geben«, blaffte Ev. »Er hat doch überhaupt keine Ahnung, was er tut.«
Die Gruppe diskutierte, ob sie ihn nicht einfach feuern und damit die ganze Geschichte beenden sollten.
Aber Ev wandte ein, dass Biz und Crystal und alle, die gern mit Jack arbeiteten, außer sich wären. Wenn Biz auch nur von diesem Gespräch wüsste, wäre er wütend und würde mit seiner Kündigung drohen, erinnerte er die beiden. Biz müsse um jeden Preis in derFirma bleiben, erklärte Ev. Zwei der drei Firmengründer zu verlieren wäre eine Katastrophe.
Die Diskussion zog sich über eine Stunde hin. Sie drehten sich im Kreis wie das sprichwörtliche Karussell. Und dann endlich hatten sie eine Entscheidung. Einen Plan. Eine Exekution.
*
Der Mittwoch kam schnell. Jack wachte angespannt und beklommen auf. Als er im Stadtviertel Tenderloin aus der U-Bahn stieg, fühlte er sich ausgelaugt. Mit gesenktem Kopf trottete er die Treppe des U-Bahnhofs hinauf und ging Richtung Clift Hotel. Obwohl es noch früh am Morgen war, quollen überall Obdachlose aus Nachtasylen. Prostituierte – als Überbleibsel der vorangegangen Nacht ein vertrautes
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