Tybee Island
keine Entschuldigung mehr für dieses ständige Frustsaufen. In ihrer näheren Umgebung hatten längst alle jedes Verständnis dafür verloren. Ihre Eskapaden und Ausrutscher waren in erster Linie nur noch peinlich. Keiner wollte etwas damit zu tun haben. Und g estern hatte sie es sogar geschafft, mit Matthew Stewart im Bett zu landen.
Ihr Interesse an den Ereignissen des Vorabends war schlagartig verschwunden. Wie auch immer es dazu gekommen war, dass Craig sie hierher gebracht hatte, er hatte sich wohl nur wie ein Freund benommen. Was auch sonst? Schließlich war er Craig O’Neill. Mr. Perfect, wie sie zu sagen pflegte.
»Alles in Ordnung?«
»Sicher«, antwortete sie, ohne sich umzudrehen. Obwohl eigentlich nichts in Ordnung war. Ihr Leben war eine einzige Katastrophe. Ihr Verlobter hatte sie vor sechs Monaten wegen einer anderen verlassen. Die Prüfungen des vergangenen Semesters hatte sie alle mit Bravour in den Sand gesetzt, und bei dem Praktikum für den Sommer war sie am ersten Tag drei Stunden zu spät aufgekreuzt, weil sie am Abend zuvor mal wieder zu tief ins Glas geguckt hatte. Nichts war in Ordnung. Sie wandte den Kopf und sah zu Craig. »Kann ich bei dir mal unter die Dusche hüpfen?«
Mit einem leichten Stirnrunzeln musterte er sie, ehe er antwortete. »Klar.«
Craig sah Jen nach, wie sie ohne ein weiteres Wort den Raum verließ. Ob er ihr doch die Wahrheit hätte sagen sollen? Die Möglichkeit, mit diesem Matthew geschlafen zu haben, schien ihr merkwürdig stark zugesetzt zu haben. Dabei hatte er eigentlich vermutet, dass solche Eskapaden bei ihr an der Tagesordnung standen. Kopfschüttelnd widmete er sich wieder seinem Kaffee und den Savannah Morning News . Wie immer blätterte er die Zeitung von hinten nach vorn, überflog den Sportteil, um schließlich bei der Außenpolitik zu landen.
US Air Force erleidet herben Rückschlag.
Er schleuderte die Zeitung durch den Raum , als hätte er sich die Finger verbrannt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er das Papier auf dem Boden an. Er kannte ein paar Jungs von der Air Force, hatte aber sonst wenig Kontakt mit dieser Streitkraft gehabt. Er war über das Marines Corps zu den Navy SEALs gelangt , aber s eit er vor vier Monaten bei einem Einsatz schwer verwundet worden war und deshalb vielleicht nie wieder aktiv Dienst leisten konnte, war es ihm unmöglich geworden, auch nur eine Zeile über einen Militäreinsatz in der Zeitung zu lesen, oder auch nur einen Ton darüber im Fernsehen zu hören. Alles in ihm schrie auf.
Er legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Dieser verdammte Einsatz.
Dabei hatte a lles so einfach begonnen. Eine Recon-Operation, wie sie sie schon oft durchgeführt hatten. Etwas Aufklärungsarbeit nicht weit hinter der syrischen Grenze. Sie hatten alle wichtigen Informationen gesammelt, die sie brauchten – Truppengröße, Waffenstärke, Positionen – und befanden sich auf dem Rückweg, um sich mit der anderen Einheit zu treff en, als John plötzlich am linken Bein getroffen wurde und stürzte. Sofort gingen sie hinter zwei größeren Steinfelsen in Deckung, aber John gelangte nicht schnell genug aus dem Schussfeld. Sie riefen ihm zu, spornten ihn an, doch ständig zischten die Kugeln über Johns Kopf hinweg. Er würde es nicht schaffen. Craig fluchte, dann verließ er seine Deckung, rannte zu ihm und zog ihn hoch. Elias und Zach hielten indes die Angreifer in Schach. Trotzdem sauste Kugel um Kugel an ihnen vorbei – schließlich ging auch Craig zu Boden.
Vermutlich war es reiner Zufall gewesen, dass die gegnerischen Soldaten sie entdeckten hatten. Um so realer war der Beschuss gewesen. Craig erinnerte sich kaum daran, wie sie es aus Syrien ins angrenzende Israel und von dort in ihre Heimat geschafft hatten. Alles, woran er sich erinnerte, war der Schmerz.
Er erhob sich von der Couch, schob die Hände in die Taschen seiner Jeans und schlenderte an die Stelle, an der Jen zuvor gestanden und so verloren auf den Atlantik gestarrt hatte. Das Rauschen der Wellen drang zu ihm, während Möwen kreischend ihre Bahnen am Himmel zogen. Er war in dieses Haus gekommen, um Ruhe und zu sich selbst zu finden. Um Entscheidungen zu treffen. Um vielleicht auszumachen, wie es mit ihm und seinem Leben weitergehen sollte. Aber in den zehn Tagen, in denen er hier war, war er der Lösung keinen Schritt nähergekommen. Was sollte er mit seinem Leben anfangen, wenn er kein Navy SEAL mehr sein konnte? Er wandte sich ab und machte sich
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