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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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sich also mit ihrer Sexualität.
    Als ich einmal von Kind und Haus Reißaus nehmen kann, gehe ich in eine wissenschaftliche Buchhandlung, um mir in Ruhe Bücher zum Thema Entwicklung des weiblichen Kleinkindes anzusehen. Drei Meter Regale, vollgestopft mit Literatur zur Kleinkinderziehung, stehen mir zur Verfügung. Natürlich finde ich kein Buch zur »Mädchenerziehung«. So etwas gibt es in der fortschrittlichen Pädagogik nicht mehr. Gott sei Dank.
    Ich lese kurz in die verschiedenen Bücher hinein. Als Auswahlkriterium dafür, welches Buch ich kaufen will, nehme ich mir jeweils die Kapitel zum Thema Sexualität vor. Es ist ja gerade aktuell.
    Welche Überraschung aber. Ich finde in allen Büchern seitenweise Ausführungen zur Sexualität - zur Knabensexualität. Der Penis steht im Mittelpunkt, und darum herum gruppiert sich alles, was Freud und seine Nachfolger dazu sagten. In einem Buch finde ich dann folgenden Satz: »Beim weiblichen Säugling und Kleinkind verläuft die Entwicklung ähnlich.«
    Wo das Mädchen Erwähnung findet, ist es dem Buben ähnlich. Nie umgekehrt. Die Norm ist der Bub. Könnten da nicht Eltern angesichts der Literaturangebote auf die Idee kommen, daß kleine Mädchen keine eigene Sexualität haben? Wird dies nicht einfach durch Nicht-Erkennen, Nicht-Aussprechen behauptet? Gegenteilige Beobachtungen am eigenen Kind verursachen Angst, lassen Schlechtes vermuten und werden im besten Fall lediglich übergangen, jedoch selten positivais das angenommen, was sie sind. Sind Mädchen denn geschlechtslose Wesen? Wesen ohne Lust?
6. Dezember 1982 (1 Jahr, 4 Monate)
    Der Nikolaus kommt. Es sind vier Kinder versammelt, zwei Mädchen und zwei Buben. Die Kinder sind unterschiedlich entwickelt, obwohl sie sich altersmäßig nur wenige Wochen unterscheiden. Eric ist von allen am wenigsten aufgeweckt; er begreift langsam und ist wenig sensibel. Der Nikolaus betritt den Raum. Die Erwachsenen singen ein Nikolauslied. Drei der Kinder werden nun ruhig, bleiben still sitzen und verfolgen aufmerksam das Geschehen. Anders Eric. Er nimmt als einziger von dieser ungewöhnlichen Gestalt und dem veränderten Verhalten aller überhaupt keine Notiz, läuft herum, plappert wie vorher. Sein Nikolaussäck-chen muß ihm von seiner Mutter aufgedrängt werden. Keines der Kinder fürchtet sich.
    Alles ist vorbei. Die Erwachsenen unterhalten sich über das Geschehen. Da sagt Erics Mutter: »Na, der einzige Forsche war nun wieder mal mein Sohn. Der Junge fürchtet Tod und Teufel nicht, so wie der um den Nikolaus herumlief.«
    Ich wundere mich, wie sehr Erics Mutter die Realität verdrängen konnte. Wie unproblematisch und schnell gelingt es doch einer Sohn-Mutter, Mangel an Auffassungsgabe und Sensibilität für das Umweltgeschehen in Männlichkeit und Stärke umzudeuten. Bei einem Mädchen hätte es eindeutig geheißen: »Sie versteht's eben noch nicht.« Anneli hat der Nikolaus einen Spielzeug-LKW gebracht. Allerdings spielen damit die beiden Buben, nicht Anneli. Auch als Klaus ihr am nächsten Tag das Spielzeug nahebringen will, ist sie nach wie vor nicht interessiert. Ich weiß nicht, warum. Aber auch mich interessiert der LKW überhaupt nicht, und ich spiele nicht mit ihr zusammen damit. Autos haben für mich keinen Reiz über ihre reine Funktion als Transportmittel hinaus. Als Spielzeug für meine Tochter und mich lehne ich sie schlichtweg ab.
20. Dezember 1982 (1 Jahr, 4 Monate)
    Eine befreundete Familie mit ihrem dreijährigen Sohn besucht uns. Der Bub schaut sich interessiert ein Buch mit großen, schönen Tierphotographien an. Nebeneinander sind Birkhahn und Birkhuhn abgebildet. Das Kind stellt die Frage, wieso die Vögel so verschieden aussähen. Der Vater erklärt: »Der eine Vogel ist das Männchen, und der andere Vogel ist das Weibchen. Und die Natur hat es immer so eingerichtet, daß das Männchen das buntere, schönere Wesen ist als das Weibchen. Die Weibchen sind immer grau und unscheinbar. Das ist wie bei den Menschen.« Sein Sohn schaut ihn groß an, gläubig und ernst, und blättert weiter. Das Ironische an dieser Bemerkung hat er nicht wahrgenommen. Wie soll das auch ein dreijähriges Kind! Daneben sitzen zwei Frauen - seine Mutter und ich. Aber keine von uns macht den Mund auf. Ich war zu sprachlos, der Witz war mir zu dumm und zu alt. Die Mutter hatte sich offenbar schon abgewöhnt, auf derartige Witzchen zu reagieren. Für den Buben bleibt die Erklärung des Vaters von den Müttern - den Frauen -

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