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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Männer und Buben genannt und hat ein Spielzeug am Bauch, für das sie bewundert und belobigt wird; und zwar von der zweiten Kategorie, den Mädchen und Frauen, die nicht im Besitz eines solchen bewunderungswürdigen Spielzeugs sind, mit dem sie sich in den Mittelpunkt des Interesses stellen können. Diese Schlußfolgerung liegt für das Kind nahe, denn es sieht keine Frau derartige Spiele machen. Nun will aber jedes Kind das interessante Spielzeug eines anderen Kindes auch haben. Nur führt nicht jedes Versagen von Spielzeug zu dem lebenslangen Inferioritätskomplex, wie er Frauen wegen ihres »Penisneides« zugeschrieben wird. Das »Spielzeug« hat also offenbar noch eine andere Bedeutung, eine weitergehende. Es vermag, wie Helene Deutsch hervorhebt, nicht lediglich der Anblick des Penis allein als eines äußeren Ereignisses die innere Entwicklung des Mädchens zu lenken: »Die Entdeckung des anatomischen Unterschiedes bedeutet für das Mädchen die Bestätigung eines bereits innerlich empfundenen Mangels, sozusagen eine Rationalisierung desselben.« 14
    Die Erklärung dafür, warum das Mädchen seinen Mangel innerlich empfindet, liefert, wie ich meine, das Leben. Wir sahen es am Beispiel.
    Simone de Beauvoir schrieb dazu: »Man macht den Knaben künstlich stolz auf seine Männlichkeit. Dieser abstrakte Begriff nimmt für ihn eine ganz konkrete Gestalt an: er verkörpert sich im Penis. Nicht von sich aus fühlt er sich stolz auf seinen kleinen gleichgültigen Geschlechtsteil. Er wird es durch die Haltung seiner Umgebung.« 15 Bei Anneli werden von diesen Ferien an die Begriffe Mann und Frau in ihrem Wortschatz aktiv und oft gebraucht und häufig in Gegensatz zueinander gestellt.
18. Juli 1983 (1Jahr, 11 Monate)
    Im Auto scherzt Ellen mit den Kindern. Sie fragt Anneli: »Bist du ein Mädi oder ein Bub?« Anneli kann mit dieser Frage auf sich selbst bezogen nichts anfangen, weil ich ihr gegenüber bis jetzt - zumindest bewußt - immer bloß den Begriff Kind verwandt hatte. Ich wollte zwar auch des öfteren spontan Mädchen und Bub sagen, verschluckte es aber immer wieder, weil ich das Gefühl hatte, damit für Anneli die Welt zu früh in zwei verschiedene Teile zu dividieren. Ich merkte jedesmal, daß ich, wenn ich das Wort Mädchen oder Bub gebrauchen wollte, nach diffusen - mir selbst nicht genau verständlichen - Kriterien differenzierte. Ich empfand diese Polarisierung in diesem Augenblick als einschränkend, als ein »Weniger« gegenüber Mensch oder Kind. Bei dieser Bezeichnung war für mich alles offen - Anneli hatte die ganze Palette der Lebensmöglichkeiten vor sich, sie sollte und ich konnte mir, wenn ich das Geschlecht offenließ, alles denken, ausmalen und vorstellen, was die Welt und das Leben für den Menschen zu bieten hatte, und nicht bloß das Segment, das für die Frau vorgesehen ist. Ich wollte Anneli diese Illusion so lange wie möglich erhalten und sie nicht in ihrer Selbstdefinition so früh festlegen. Ich dachte dabei daran, sie selbst von der selektiven Wahrnehmung dessen, was ein Mädchen, und dessen, was ein Bub so alles macht und machen darf, abzuhalten. Auf diese Weise sollte sie länger frei nach ihrer Lust und ihrem Temperament wachsen können. Sie sollte Mensch sein, solange das möglich war. Daß sie allerdings die Welt bei anderen Personen in Frau und Mann einzuteilen in der Lage war, wußte ich längst.
    Einen Tag, ehe sich Martins Vater uns in den Ferien anschließt, wird von Ellen jede Besonderheit mit der Bemerkung auf später verschoben: »Das macht dann der Papa mit dir.« Es handelt sich dabei um solche Besonderheiten wie Sessellift fahren, offenes Feuer machen, große Bergtour zur Alp oder Schiefer aus der Hand ziehen (Papa ist Arzt). Alle diese erlesenen Kinderabenteuer finden dann tatsächlich statt, als Papa da ist. Es darf sogar auf einen Felsen geklettert werden.
    Abends, als wir ohne Kinder noch zusammensitzen, erklärt mir Ellen als die sachkundigere Mutter - ihr Kind ist ja zwei Jahre älter -, daß für Kinder im Alter von etwa vier Jahren die absolute Bewunderung für den Vater einträte. Sie wundere sich, woher das käme; es habe wohl etwas mit der Phase des Ödipuskomplexes zu tun. Mich wundert es nicht nach dem Erlebten.
    Vieles von dem, was der Vater den ganzen Tag über machte, gab Anlaß zur Bewunderung, wie zum Beispiel einen Stock ganz weit werfen können und von großen Steinen oder Felsen herunterspringen. Ellen machte ihren Sohn immer mit den Worten

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