Typisch Mädchen
sich an mich: »Ich glaube, sie hat da (!) wieder was. Eine Entzündung oder einen Pilz (hatte sie als Baby), weil sie immer hinlangt.« Dann geht Oma zu ihr hin und sagt: »Das tut doch weh, laß das. Da bohrt man nicht herum«, und kleidet nach dieser suggestiven Feststellung alles in Frageform: »Gell, das tut weh, weil du da drin bohrst?« Anneli sieht Oma groß an. Wird dem Mädchen die Lust, das angenehme Körpergefühl zum Leid umgedeutet? Wird ihr das Leiden an dieser Stelle nahegelegt, während bei einem Buben in vergleichbarer Situation lediglich stillschweigend festgestellt würde, er habe seinen Penis entdeckt und spiele halt nun mal damit - der bietet sich als Spielzeug doch an? Bei Frauen dagegen ist so etwas ernst - es existiert nicht, oder es tut weh!
29. Juni 1983 (1 Jahr, 11 Monate)
Nachmittags ist Sommerfest mit vielen Kindern bei Bekannten.
Die Gastgeberin erzählt, am Treppengeländer stehend, daß die beiden im Haus wohnenden Buben (eindreiviertel und zweidreiviertel Jahre alt) daran hochklettern. Ich sage in braver Konversation, daß man dazu schon Muskeln brauche, und fordere so nebenbei Anneli auf, ihre Muskeln am Arm zu zeigen; ich mache ihr einen Bizeps vor. Claudia (sieben Jahre) und ihre Mutter stehen dabei. Spaßeshalber fordere ich beide auf, ihre Muskeln zu zeigen, und lasse Claudia meine gespannten Bizeps fühlen. Sie ahmt es mir nach. Ihre Mutter dagegen verfällt in ein leicht verschämtes Frauenlachen, kichert ein bißchen vor sich hin und sagt: »Ich hab doch keine Muskeln, da brauchst du nicht zu schauen, da ist nichts« und läßt den Arm schlapp herunterhängen. Claudia ist enttäuscht, sieht nachdenklich zwischen uns hin und her. Anneli hört mit großen Augen zu. Natürlich hat Christa Muskeln, und zwar auch trainierte Muskeln, denn sie schleppt ihren fast zweijäh -rigen Sohn auf dem Arm herum, wann immer er es verlangt, macht die Garten- und die Hausarbeit. Aber es zählen wieder einmal nur Männermuskeln; Muskel als Begriff bedeutet Männlichkeit. Eine Frau hat sie einfach nicht. An ihr ist bloß Fett und Haut - oder wie?
30. Juni 1983 (1 Jahr, 10 Monate)
Wir wandern zu einem Moorsee. Es sind einige Schulklassen da. Anneli geht zu den Kindern, die etwa zwölf Jahre alt sind. Im Nu ist sie umringt von vier Mädchen, die mit ihr spielen, und eines der Mädchen bringt sie dann auch zu uns zurück. Wieder einmal - keiner der Buben hat von ihr Notiz genommen oder mit ihr auch nur ein Wort gewechselt. Männer sind entrückt, signalisieren mit ihrer Nichtbeachtung, daß sie etwas anderes sind.
Ich lese abends von einer Untersuchung, nach der Väter für die Kinder immer das Interessante machen und darstellen; Mütter dagegen würden ewig nur am Haushalt kleben und böten Kindern Monotonie. 12
Ich kann das nur bestätigen - es ist wahr. Tagsüber ist die Mutter, die keine Hausangestellten hat, tatsächlich sehr viel Zeit mit dem Haushalt beschäftigt. Und es ist wirklich monoton: aufräumen, einkaufen, kochen, waschen, bügeln, putzen usw.
Abends dagegen, wenn Papi heimkommt, wird es interessant, denn da ist endlich eine Person, die sich lange Zeit, ohne ständig von Haushaltskram unterbrochen zu werden, mit dem Kind beschäftigt und sich Spiele einfallen läßt. Mutter dagegen kocht in der Küche - ach, wie langweilig. Mutter ihrerseits ist froh, endlich einmal alleine zu sein, ohne ständige Fragereien des Kindes ihren Gedanken nachhängen zu können, das Kind bei jemand anderem aufgehoben zu wissen. Da die Familie aber essen will, muß auch das Kochen sein, also verbindet die Mutter das Alleinesein mit dem Kochen. Ich jedenfalls ziehe mich dann erleichtert in die Küche zurück und gebe das Kind nach ständigem Zusammensein seit sieben Uhr morgens gern an den Vater ab. Das Interessante, das Mütter mit ihren Kindern machen, eingezwängt in den Haushalt, geht unter; es ist ja immer nur zwischendurch.
Oma baut zusammen mit Anneli mit den Holzklötzchen eine Garage für die zahlreichen Autos. Sie fragt: »Wo hast du denn die alle her? Du bist doch ein Mädi!«
Nachmittags sind wir zu B esuch. Es kommt noch eine Frau mit einem gleichaltrigen Buben dazu. Sie packen gleich zu Anfang sein mitgebrachtes Spielzeug aus. Was ist es ? Lauter Autos. Wir haben nichts dabei, weil ich der Ansicht bin, sie sollte ihre Umgebung erforschen. Der Ausspruch von Oma, einer konservativen 65jährigen, paßt exakt zur Realität einer sich als fortschrittlich bezeichnenden 30jährigen
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