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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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aufmerksam: »Da schau mal, wie weit der Papa springen (oder schmeißen) kann ...«
    Es fielen in all den Tagen kein einziges Mal Worte darüber, wie toll weiblich diverse Leistungen von uns Frauen gewesen seien. Wer ist da erstaunt, wenn der Sohn seinen Vater als allmächtig und wunderbar im Vergleich zur Mutter empfindet. Mit ihm läßt sich eben mehr erleben und unternehmen.
    »Der Vater verkörpert in den Augen des Kindes... die Kraft, das Ideal, die Außenwelt«, so belehrt Winnicot Generationen von Eltern. 16 Für die Mutter dagegen bleibt es beim Alltäglichen; sie hat das Haus und den Haushalt zu symbolisieren. Und Frauen spielen das Spiel mit!
    Nach der gemeinsamen Zeit mit Martin und seinem Vater haben sich Annelis Gewohnheiten beim Wasserlassen gravierend verändert. Sie weigert sich, im Sitzen zu pinkeln, und klettert auf die Klobrille, wenn sie nicht im Freien stehen kann, um von dort aus knieend oder stehend mit ihrem Strahl in das Klobecken zu treffen. Es gelingt ihr vortrefflich. Martin dagegen pinkelt, wie seine Mutter es ausdrückt, »im Sechseck«, und danach muß häufig die Klobrille geputzt werden. Aber es wurde ihm nie vorgeschlagen zu sitzen. Nach dem bereits Geschilderten ist mir völlig klar, warum Anneli das macht. Zwischendurch war aber noch manch anderes Gespräch zwischen Vater und Sohn zu hören, das nicht ohne Eindruck auf Anneli bleiben konnte. Wenn Martin seinen Haufen ins Klo gesetzt hatte, wurde das von seinem Vater als ganz tolle, richtige »Männerscheiße« belobigt; wenn Martin sich weh tat und ein bißchen Blut floß, dann war das richtiges Männerblut, das da aus seiner Wunde floß; wenn es ans Essen ging, sollte Martin doch mal richtig wie ein Mann essen, nämlich wie sein Vater. Nie war etwas davon zu hören, wie wunderbar weiblich beispielsweise der Urin von Anneli sei oder daß sie schon Portionen so toll wie eine richtige Frau äße. Frau-Sein wurde dem Kind niemals als ein erstrebenswertes Vorbild schmackhaft gemacht. Ellen und ich wurden weder von anderen noch von uns selbst zum Beispiel hochstilisiert. Für mich stellt sich die Frage nach der Existenz von Penisneid nicht mehr.
26. Juli 1983 (1Jahr, 11 Monate)
    Wir sind auf dem Spielplatz. Anneli spielt im Sand. Es kommen zwei Kinder, ein Bub und ein Mädchen, etwa sechs und fünf Jahre alt. Der Bub kommandiert beim Spielen ständig das Mädchen. Sie folgt gehorsam und »hilft« ihm, wenn er es befiehlt. Dann gibt er das Kommando zum Gehen, zieht sich Strümpfe und Schuhe an und entfernt sich vom Mädchen etwa fünf Meter. Dieses sitzt jetzt als hilfloses Häufchen am Boden und jammert hinter dem Buben her, er solle doch warten; sie bittet und bettelt. Mit generöser Geste dreht er sich daraufhin um und sagt im barschen Ton: »Dann mach schon.« Das Mädchen fummelt sehr aufgeregt mit ihren Strümpfen und Schuhen und hastet ihm wie das Hundchen hinterher.
    Anneli stand während der ganzen Zeit, in der die Kinder am Sandkasten waren, neben mir und beobachtete die Kinder. Sie sagte nichts und rührte sich nicht, war aber sichtlich gefangen von ihren Beobachtungen. Beim Weggehen der Kinder bezeichnet sie dann den Buben auch richtig als solchen. Sie kann also dessen Geschlecht einordnen. Das Mädchen war am Kleid zu erkennen.
    Während ich so ruhig neben Anneli stehe und ebenfalls alles sehe, überlege ich mir, was wohl angesichts dieser Szenen sich in ihrem Kopf einprägt. Ich hatte oft schon den Eindruck, daß kleine Kinder vorbehaltlos zum Zwecke der Nachahmung die Welt in sich aufsaugen. Mir schaudert bei dem Gedanken, daß Anneli auch hieraus Verhaltensmuster ableitet. Das Gesehene paßt bereits zu einigen von ihr getroffenen Feststellungen. Es fügt sich eins zum anderen, und schon ist für die Mädchen die Dominanz des Männlichen das scheinbar Naturgegebene.
27. Juli 1983 (1 Jahr, 11 Monate)
    Oma gibt den Befehl, Anneli ein Sommerkleid zu kaufen. Ich bin gehorsam - wir gehen ins Kinderbekleidungsgeschäft. Sie soll probieren. Als sie zu kreischen anfängt und nichts davon wissen will (es ist das erste Kleid), erzählt ihr die Verkäuferin die übliche Geschichte davon, wie schön sie sei und sie solle doch in den Spiegel schauen. Da es mir ziemlich egal ist, ob wir jetzt das Kleid kaufen oder nicht, mache ich bei diesen Überredungsversuchen nicht mit. Der Verkäuferin gelingt es tatsächlich, sie vor den Spiegel zu zerren und das schlimmste Geschrei damit einzudämmen - aber nicht für lange. Immerhin fiel Anneli

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