Typisch Mädchen
beinhaltet diese Aussage zweierlei:
1. Es wird von einem grundsätzlich unterschiedlichen Verhalten hinsichtlich der Motorik bei Buben und Mädchen ausgegangen. Mädchen und Buben werden bei jedwedem Verhalten in das geschlechtseigene und das geschlechtsfremde Verhalten eingeordnet. Menschliches Verhalten im Sinne der jeweiligen angeborenen Anlagen und Vorlieben gibt es nicht.
2. Bei Mädchen existiert die zusätzliche Erwartung, daß sie sich über das vorgegebene Mädchenverhalten hinaus auch wie ein Bub benehmen dürfen. Sind die Eltern noch progressiver, wozu ich mich selbst manchmal zähle, dann müssen die Mädchen das Bubenverhalten fertigbringen.
Fatal ist nun allerdings, daß dieses geschlechtsüberschreitende Verhalten für die Mädchen unter dem Vorbehalt einer elterlichen Erlaubnis, des Gewährenlassens, steht: »... aber das dürfen sie ja«! Allein in dem Begriff des »Dürfens« steckt die jederzeitige - für Kinder unberechenbare - Widerrufsmöglichkeit durch die Erwachsenen. Von deren gutem Willen und jeweiliger Laune ist es beim Mädchen abhängig, wie weit es in der Abweichung von der vorgegebenen Geschlechtsnorm gehen darf.
Mädchen bekommen diese Erlaubnisschranke in jedem Fall zu spüren, und seien die Eltern noch so liberal, in Streßsituationen der Eltern, in denen der Rückfall in traditionelle Erwartungen an mädchenhaftes Verhalten nicht durch ausgeglichenes, bewußtes Überlegen der Mutter oder des Vaters gebremst wird. Müde Eltern werden nach einem anstrengenden Arbeitstag um neun Uhr abends bei ihren lauten, tobenden Töchtern schneller Ruhe erwarten und vor allem durchsetzen als bei Söhnen, denn »dann ist ja wirklich nicht mehr angebracht, daß sie wie die Buben sind« 17 .
So merkt das Mädchen, daß »wie die Buben sein« - abgesehen bereits von der besonderen sprachlichen Betonung - der Ausnahmefall ist; daß toben und wild sein eigentlich nicht für sie vorgesehen sind.
19. August 1983 (2Jahre)
Heute ist Annelis Geburtstag. Klaus will ihr einen Blumenstrauß schenken und verlangt im Blumenladen einen Strauß für ein kleines Kind. Es kommt die Frage: »Ist das Kind ein Bub oder ein Mädchen?«
Auf Klaus' Antwort hin meint die Verkäuferin, dann könne sie ja alle Farben nehmen, und mischt kräftig Rosa und Lila! Vielleicht war sie eine Feministin.
Ich frage mich, welche Farben für einen Jungen reserviert gewesen wären und warum wohl?
20. August 1983 (2Jahre)
Es ist ein sehr heißer, beständiger Sommer. Anneli läuft am liebsten nackt, im Haus wie im Garten. Doch jeder Gang zum Supermarkt gegenüber wirft Probleme auf, wenn Klaus, der Vater, zu Hause ist. Er besteht darauf, daß Anneli sich anzieht, und wenn es nur Hemd und Unterhose ist. Mir ist das keinen Streit wert, ich lasse sie nackt laufen - auch im Supermarkt und auf der Straße.
Klaus und ich diskutieren darüber. Er findet es sehr unschön, wenn seine Tochter nackt auf der Straße zu sehen ist, kann es aber nicht näher begründen. Auch bei genauerem Nachdenken meint er nur, es berühre ihn komisch und er wolle nicht, daß sie von x-beliebigen anderen Leuten ohne Kleidung gesehen werde.
Eine Freundin kommt zu Besuch. Sie ist Sozialarbeiterin. Auch mit ihr wird über dieses Thema diskutiert. Gleichzeitig erzähle ich ihr von dem nur bis zum Po reichenden Kittel, den ich Anneli ohne Unterhose anziehe, so daß sie selbst bestimmen kann, ob sie im Stehen oder in der Hocke pinkeln will und wann sie will, ohne auf meine Hilfe angewiesen zu sein.
Anlaß für diese Idee waren Gespräche mit Söhne-Müttern, die trotz aller Aufgeschlossenheit fanden, daß die Mädchen beim Pinkeln in der Hocke oder beim Abgehaltenwerden zu bedauern seien, und die sich deshalb sehr abschätzig über die Mädchen äußerten.
Die Freundin wiegt bedenklich ihr Haupt und meint, sie würde Anneli wegen der Spanner und anderer männlicher Lustmolche nicht nackt laufen lassen. Wir überlegen weiter, daß diese Bedenken nicht so sehr aus aktuellen Befürchtungen resultieren - zur Zeit bin ich ja immer mit Anneli zusammen -, sondern allgemeiner Natur sind. Annelis nackter, unschuldiger Körper könnte einen Mann dazu motivieren, sich ein Opfer, bei anderer Gelegenheit, zu suchen.
Daß wegen Annelis Anblick anderen Mädchen Schlimmes geschehen könnte, will ich nicht. Ich gehe dazu über, sie nur mehr selten nackt laufen zu lassen oder jedenfalls mit Unterhose. Drei Dinge stelle ich daraus für mich fest:
1. Einerseits wird das
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