Typisch Mädchen
wie sie lange und hingebungsvoll mit ihren Puppen spielen kann, ohne daß ich das jemals (so bilde ich mir jedenfalls ein) gefördert hätte. Sie will mich in ihre Spiele einbeziehen, und ich verweigere mich. Ich will mit dem offensichtlich »Mädchenhaften« ihres Tuns nichts zu schaffen haben und mache auch meinen Mißmut in dieser Form von Verweigerung deutlich.
Aber warum lasse ich das Kind nicht einfach so sein und spielen, wie es will? Wurde früher das Kind zum Mädchen erzogen, muß es denn jetzt ein Bub werden aus lauter Angst und Furcht, es könnte das traditionelle Frauenverhalten annehmen? Offenbar wird, gleich von welchem Standpunkt die Mutter ausgeht, ob konservativ oder emanzipatorisch, am Mädchen erzogen. Ich bin sehr ärgerlich auf mich selbst, weil ich finde, daß es so auch wieder nicht sein sollte.
3. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
Beim Abendessen trifft Anneli wieder mal die Feststellung: »Gell, Mami, die Papis können nicht weinen«; offenbar beschäftigt sie diese Frage.
Ich sage zu ihr: »Frag doch jetzt selbst mal den Papi!«
Sie: »Sollen die Papis weinen? Wie weinen denn die Papis?«
Dann läßt sie sich von Klaus vorspielen, wie er weint. Es gefällt ihr, sie fragt jetzt das Weinverhalten sämtlicher ihr bekannter Männer ab, und Klaus macht ihr das alles vor -ohne echte Tränen natürlich.
Befriedigt wendet sie sich an mich: »Mami, wie weint denn die Elisabeth, weint die wie du, Mami?«
Sie sah Elisabeth schon weinen. Es ist eine rein feststellende Frage.
Da sie Männer noch nie in Wirklichkeit heulen sah, geht An-neli wohl von unterschiedlichem Weinverhalten aus .Sie trennt dabei scharf zwischen Mann und Frau, hat sie doch in vielen anderen Dingen schon gesehen, wie sehr sich das Verhalten von Männern und Frauen unterscheidet. Nun liegt die Vermutung wirklich nahe, daß es auch beim Weinen so ist. Und Klaus spielt ihr eine Lüge vor, denn sowohl er als einige der gespielten Männer haben tatsächlich überhauptkein Weinverhalten.
5. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
Wir sitzen vormittags am Klavier, singen und klimpern ein wenig. Vor uns haben wir aus ihrer Kinder-Lieder-Fibel das Lied »Schlaf, Kindlein, schlaf« aufgeschlagen. Auf der linken Seite Noten und Text, rechts die Bilder dazu: ein Mann als Schafhirte, Schafe, Bäume und der Mond, fast alle Subjekte des Liedes - bis auf eines! Anneli fragt: »Wo ist denn die Mama?« Tatsächlich, weit und breit keine Mama! Es ist genauso, wie ich es kürzlich in dem Manuskript zu einem Buch las, das sich sehr kritisch mit den Darstellungen bzw. dem Nichtexistieren von Frauen in den Bilderbüchern auseinandersetzt. 27 Ich war beim Lesen des Manuskriptes erstaunt, daß die Anzahl der männlichen und weiblichen Personen, das Auftreten der »Helden« als Männer und Frauen so einen entscheidenden Einfluß haben sollten, und ging eher davon aus, daß die Kinder das noch gar nicht wahrnehmen würden. Anneli hat mich mit ihrer eigentlich so selbstverständlichen Frage gerade eben eines Besseren belehrt. Warum, so frage ich mich auch selbst, sind eher noch die Schafe abgebildet als die Mutter, die Frau? Wieder einmal so eine »harmlose« Gedankenlosigkeit, die die Atmosphäre dafür schafft, daß Frauen weniger wichtig sind, wenn sie im Liederbuch nicht einmal ein Bild neben den Schafen wert sind!
Wir fahren abends nach Berlin. Nachts angekommen, stehe ich mit ihr auf dem Arm vor der Wohnungstür und kann nicht aufsperren, weil irgend etwas klemmt. Ich renne mit ihr hinunter ans Auto zu Klaus und sage es ihm. Anneli tröstet mich und sagt: »Der Papi, der kann's schon reparieren.«
Während Klaus etwa 20 Minuten an der Tür herummurkst, sitzen wir auf der Treppe davor und sehen zu (es ist zwei Uhr nachts). Klaus will jetzt den Schlüsseldienst anrufen, weil auch er nicht aufschließen kann, da öffnet sich die Tür plötzlich ganz harmlos und zufällig. Hätte mir ja genausogut passieren können - aber nein, für Anneli und dem äußeren Anschein nach gelang es eben dem Papi! Schon wieder einmal hat Papi beim Reparieren Erfolg.
7. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
Anneli und meine Freundin spielen mit Tuchpuppen. Anneli arrangiert die Szene folgendermaßen: Sie selbst ist das Baby und liegt im Bett. Mama putzt und räumt auf, und Papa kocht für alle. Zunächst wundere ich mich über dieses Szenario, doch dann erinnere ich mich eines Buches, in dem die Mäusefamilie so eingerichtet ist. Dieses Buch sah sie am Tag vorher in einem
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