Typisch Mädchen
habe! Er macht es ganz spannend. Sie weiß es natürlich nicht. Da verkündet er ganz großartig, daß er selbst gekocht habe, weil Ulla, seine Frau, nicht dagewesen sei. Anneli kennt Ulla. Anneli hört aufmerksam und verständnisvoll zu, sie kommentiert nicht, aber ich merke an ihren Blicken, daß die Geschichte sitzt. Es sitzt, daß es die große Ausnahme und das Besondere ist, wenn ein Mann kocht; es sitzt, daß er das nur tut, wenn die Frau nicht da ist. Dann ist es allerdings gleich besonders beachtenswert und das Essen auch besonders gut, wie die Verbindung zur Leibspeise nahelegt. Selbst hier - wenn er schon mal kocht -macht er das Großartigere. Dies scheint ein kulturübergreifendes Prinzip zu sein. In Berlin 1984 wie in Bali 1930. So stellte Margaret Mead für Bali fest: »Das verschiedenartige Prestige, das männliche und weibliche Betätigungen haben, ist ein Aspekt der gesellschaftlichen Bewertung verschiedener Arbeitsarten. Was immer auch die Männer tun - selbst wenn sie Puppen für religiöse Zeremonien ankleiden - hat mehr Prestige und wird als höhere Leistung bewertet als das, was Frauen tun.« 31
14. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
Uschi und ihre Tochter Annalena (zehn Monate) sind zu Besuch. Uschi und ich sitzen beim Tee und unterhalten uns strickend; es geht natürlich um das Übliche, die Kinder: wie und wann sie essen, schlafen, pinkeln und nerven. Damit wir ungestört reden können, sage ich zu Anneli, sie solle mit Annalena spielen; das größere Mädchen wird angehalten, mit dem Kleinkind zu spielen, um die Mutter zu entlasten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das mit gleicher Selbstverständlichkeit bei einem Buben gemacht hätte. Bei diesem Gespräch mit Uschi erzählt diese von ihrer Analyse, ihrem Vaterkomplex usw. Dabei fällt auch im Satzzusammenhang der Begriff »nur ein Mädchen«. In diesem Moment unterbricht Anneli, die neben uns auf der Bettdecke sitzt, ihr Spiel mit einer Puppe, hebt ihren Kopf und sieht mich fragend an. Sie sagt aber nichts und spielt dann weiter.
15. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
Wir sitzen beim Frühstück. Da sagt Anneli zu mir: »Also ich bin jetzt die Mama, und du bist meine Freundin, und jetzt reden wir; also da ist jetzt mein Baby, und wenn das dann ißt, dann macht das so und dann so (sie macht entsprechende Hand- und Armbewegungen), und dann geht's schlafen.« Sie spricht in genau dem Tonfall, in dem Uschi und ich tags zuvor tratschten. Sie hat vollkommen begriffen, was Frauen, die Kinder haben, reden, wenn sie zusammensitzen. Wir besuchen nachmittags Sabine in ihrer Wohngemeinschaft. Ursel stößt zum Tee dazu. Es sitzen drei Frauen um den Küchentisch, und jede hat ein Strickzeug in der Hand.
Anneli steht auf der Bank, blickt über uns hinweg und verkündet lauthals: »Alle stricken.« Dann pilgert sie in die anderen Zimmer und findet dort die zwei Männer der Wohngemeinschaft über irgendwelchen Zeitungen oder Büchern. Sie kommt und erzählt: »Die Männer, Mami, lesen.« Ich kann nicht einschätzen, ob diese Feststellungen für sie mit geschlechtsspezifischen Einordnungen verbunden sind. Anneli sah schon viele Fr (tuen stricken, aber noch keinen Mann. Wenn sich das Bild von dem, was Frauen, und davon, was Männer machen, aus-vielen Einzelerfahrungen zusammenfügt, dann gehören jetzt jedenfalls Frauen und Stricken zusammen.
16. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
Wir sind bei Angela. Sie sieht in Angelas Hohlspiegel und stellt fest: »Jetzt bin ich groß, jetzt bin ich ein Bub.« Groß ist immer noch bei Anneli das Synonym für Können, Dürfen. Angela und ich sind entsetzt und sprachlos. Als erste findet Angela ihre Sprache wieder und sagt: »Nein, Buben sind klein und dumm.«
Wie kommt Anneli zu ihrer Feststellung? Hat es mit dem Gespräch mit Uschi zu tun: »bloß ein Mädchen«? Muß wieder einmal die Erklärung genügen, daß dergleichen einfach in der Luft liegt?
Ist Angelas eindeutige Antwort richtig, weil sie einer völlig verlogenen Gesellschaftsordnung, in der die Männer den Kindern als die Besseren, Größeren vorgegaukelt werden, eine ebenso drastische Lüge entgegengesetzt und damit ein Gleichgewicht in der Lüge herstellt, oder ist es falsch, das zu sagen, weil die gesellschaftliche Wirklichkeit dem nicht entspricht?
Wir hoffen und glauben, in des Kindes Vorstellungswelt mit unserer Darstellung der Dinge ein Gegengewicht zu schaffen.
Wir spielen in der Frühe im Bett unter der Bettdecke »Kind im Bauch« und »Kind wird
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