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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Vierjährige genau diese Farbenpalette registrierte. Solange sich also Buben nicht wirklich genauso farbenfroh und schön kleiden dürfen wie Mädchen, sich genauso schmücken dürfen, und dies nicht nur im häuslichen Rahmen, sondern auch für »draußen«, wird die wunderbare Wahlmöglichkeit der Mädchen zur Pflichtaufgabe der Frau.
    Sie bleibt an ihre Weibchenschönheit gefesselt. Doch ich denke, wir sollten auf Schönheit nicht verzichten, weshalb es nur die Schlußfolgerung geben kann: Wir brauchen mehr Schönheit, und sie muß auf die Buben, die Männer ausgedehnt werden. Also gebt den Buben endlich auch die Farbe Rosa.
    Ich ziehe das Fazit von Weihnachten: Annelis Weihnachtsgeschenke waren: zwei Puppen, ein Steiff-Tier, ein kleiner Kasten Duplosteine, ein Märchenbuch (auch für die Eltern), eine Elfenbeinhalskette. |
    Schorschi bekam: eine Holzeisenbahn, einen lebenden Hasen, mehrere Kästen Duplo mit Tankstelle, Bagger usw., zusammen mit seiner siebenjährigen Schwester einen Kaufladen.
    Felix bekam: mehrere große Autos und LKWs, eine unübersehbare Anzahl von Duplo mit allen Geräten und Figuren, ; Bilderbücher von Mitgutsch 26 .
    Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob ich Anneli deshalb i nicht all die Duplo-Bagger, Flugzeuge, LKWs usw. gebe, weil ich sie nicht zu früh mit unserer von Plastik und Technik überfrachteten Kultur konfrontieren will oder weil sie ein Mädchen ist. Oder bin ich leichter von den »anthroposophi-schen« Argumenten überzeugt, weil sie ein Mädchen ist? Hätte ich bei einem Sohn nicht ein latent schlechtes Gewissen, wie ich es bei Anneli nicht habe? So wie es eine Bekannte aussprach: »Das wird für einen Buben dann später im Kindergarten aber komisch, wenn er die Spielsachen der anderen Buben nie gehabt hat und womöglich nur mit den Mädchen spielen will.« Ich stelle wieder mal fest, daß die Söhne-Mütter große Angst haben, ihre Buben könnten irgendwann bei Experimenten in der Erziehung solchen Schaden nehmen, daß sie nicht zur »männlichen Identität« gelangen und deshalb Schwierigkeiten im »Männer«leben haben. Die Befürchtungen sind realistisch.
    Ein sechs Jahre altes Mädchen aus sehr konservativem Elternhaus ist bei uns zu Besuch. Wir unterhalten uns über ihre Spielkameraden aus der Nachbarschaft. Sie erzählt, daß mit Gunni (Bub) kein Kind spielen will, »weil der ja mit Puppen spielt«. Die Mädchen spielen nicht mit ihm, weil er ein Bub ist, die Buben nicht, weil er wie ein Mädchen spielt.
    Sie spielt mit den Duplosteinen, die sie zu Weihnachten bekam, und stellt fest, daß eines der Bauwerke ein Bagger ist. Dazu brauche sie jetzt aber den »Mann vom Bagger«. Klaus schlägt vor: »Nimm doch die Mädchenfigur, die kann es doch genauso wie der Mann.« Er gibt ihr die Figur. Sie weist sie entrüstet zurück und sagt: »Aber das ist doch ein Mädchen.«
    Klaus: »Können Mädchen nicht Bagger fahren?« Anneli: »Nein, weil Frauen dann ihre Hände bäh kriegen.«
    Ich bin entsetzt und erkenne mich wieder in meiner Furcht vor Schmiere, Ol und Dreck an den Händen beim Autoreparieren. (Siehe 2.November 1983.)
    Ich bin mir aber sicher, ihr das nie ausdrücklich gesagt zu haben, und kann mir nur denken, daß sie über eine der Omas zu dieser Feststellung kam. Oder hat allein schon mein bisheriges Verhalten zu dieser Schlußfolgerung von Anneli gereicht? Ich kann's nicht glauben.
29. Dezember 1983 (2Jahre, 4 Monate)
    Auf dem Weg zum Auto sehen wir einen Mann im Rollstuhl. Anneli will wissen, warum er im Rollstuhl sitzt. Ich erzähle ihr von einem Autounfall, vom Krankenhaus, in dem der Mann nach dem Unfall lag, und davon, daß er sehr weinte, weil er wegen des Unfalls nicht mehr laufen konnte. Sie daraufhin: »Aber Papis weinen nicht.« Papi steht bei ihr auch gleich für Mann. Ich: »Warum?«
    Sie: »Nein, Papis weinen nicht, Mami; es weinen nur die Ma-mis und die Kinder.«
    Ich sage nichts mehr. Zwei Stunden später fängt sie wieder an, diesmal in belehrendem, leicht ungeduldigem Ton: »Aber Mami, Papis können doch nicht weinen.« Ich entgegne ihr, daß auch Papis weinen können; sie hält dem entgegen: »Aber mein Papi nicht.«
    Das stimmt; sie sah ihren Vater noch nicht weinen. Sie sah aber mich weinen, sie sah Freundinnen von mir weinen, sie sah Oma weinen, sie sah andere Kinder weinen - doch noch nie einen Mann, noch nie einen Vater ihrer kleinen Freunde.
2. Januar 1984 (2Jahre, 5 Monate)
    Ich stelle fest, daß es mir wahnsinnig auf die Nerven geht,

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