Typisch Mädchen
erklären, woher es kommt, aber offenbar sitzt es bereits im Kopf meiner Tochter, daß sie als Bub besondere Dinge tun dürfte.
20. Dezember 1983 (2Jahre, 4 Monate)
Klaus und ich gehen ins Konzert. Oma kommt zum Babysitten. Anneli fühlt die besondere Stimmung und fragt, was ein Konzert sei.
Ich: »Da sitzen viele Leute in einem schönen, großen Zimmer und hören zu, wie andere Leute Musik machen. Klavier, Flöte, Geige und Gitarre spielen.« Ich zähle ihr die Instrumente auf, die sie kennt. Sie: »Sind da lauter Männer bei der Musik?« Ich verschlucke gerade noch ein unumwundenes »Ja«, denn für mich ist ein Orchester - und wohl nicht allein in meiner Vorstellung, sondern auch in der Realität - in der überwiegenden Mehrzahl von Männern besetzt. Dann antworte ich, daß Frauen und Männer zusammen Musik machen und daß die Frauen auch wunderschöne Musik machen können. Im Konzertsaal zähle ich die Frauen des Orchesters; es sind zwei gegenüber 25 Männern. Habe ich Anneli belogen?
Wir waren nachmittags mit Barbara und Felix beim Mutter-Kind-Turnen. Auf dem Nachhauseweg ist viel von Polizei und Feuerwehr die Rede. Es interessiert beide Kinder gleich stark. Ich reagiere gar nicht bei dieser Rederei. Barbara sagt zu ihrem Felix: »Ich werd mit dir morgen extra zum Feuerwehrhaus gehen, und dann schauen wir uns das alles ganz genau an - da siehst du dann die großen Feuerwehrautos und die Leitern.«
Auf die Idee, mit Anneli wegen dieser Feuerwehrspielerei extra zum Feuerwehrhaus zu pilgern, wäre ich nie und nimmer gekommen. Ist es auch hier wieder mal so, daß die Mädchen-Mutter das Anderssein ihres Kindes weniger akzeptiert als die Buben-Mutter? Ich unterstelle dabei keine böse Absicht-ich kann's beschwören; es ist nur Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit, schlichtweg Ignoranz und mangelnder Respekt vor den Interessen des kleinen Mädchens. Die Buben-Mutter dagegen fühlt sich verpflichtet, auf Grund des anderen Geschlechts ihres Kindes ihre eigenen Grenzen zu überschreiten. Es ist der Respekt vor dem werdenden Mann und die Klischeevorstellung, daß sich Buben für alles »in der Welt draußen« mehr interessieren.
23. Dezember 1983 (2Jahre, 4 Monate)
Anneli und ich machen bei Tante und Onkel von mir einen Vor-Weihnachtsbesuch. Deren Enkel Maximilian, genau ein Jahr älter als Anneli, ist zufällig ebenfalls zu Besuch. Auf dem großen Tisch im Wohnzimmer ist viel Spielzeug aufgebaut, darunter ein großer LKW. Anneli stürzt sich sofort darauf, spielt hingebungsvoll damit und ist begeistert. Als daraufhin Maximilian seinen LKW wieder haben will und Anneli ihn natürlich nicht freiwillig hergibt, tröstet ihn sein Großvater mit folgenden Worten: »Laß doch mal die Anneli damit spielen; die ist doch ein Madl, und Madl haben so etwas daheim nicht zum Spielen. Die haben bloß (!) lauter Puppen und Kin-derwagl und Puppenküchen.«
Etwas später, als ein ähnlicher Konflikt wegen eines anderen Gegenstandes entsteht, sagt der Großvater: »Sei halt ein Ka-valier, laß sie mal damit spielen, sie ist doch einMädchen.« Bei dieser Bemerkung beginnt es in mir zu rumoren: Sie gefällt mir nicht. Ich verbinde des Großvaters Appell an die Höflichkeit des Dreieinvierteljährigen gegenüber Anneli wegen ihres Geschlechts mit der allgemeinen Wertschätzung und Ernsthaftigkeit, die Frauen und Mädchen entgegengebracht werden. Gerade der Tonfall dieser wohlmeinenden Erziehung, der sich schlecht wiedergeben läßt, den aber jede Frau kennt, bringt zum Ausdruck, daß es sich bei Anneli j a eigentlich nicht um ein gleichwertiges Gegenüber handelt, sondern um etwas anderes, nämlich ein Mädchen. Da Mädchen sowieso zu Hause nichts Vernünftiges zum Spielen haben, kann ihnen ruhig einmal Großmut entgegengebracht werden. Eine wirkliche Konkurrentin in der Auseinandersetzung um den LKW stellt sie jedenfalls nicht dar.
Zu Hause ist von Oma Rosner aus Berlin für Anneli ein Paket zu Weihnachten gekommen. Was ist drin ? Eine Puppe in Mädchenkleidung mit langen Mädchenhaaren. Anneli bekommt zwei Tage später von einer Nachbarin als Weihnachtsgeschenk eine selbstgenähte Puppe mit sehr langen, blonden Haaren.
In zwei Wochen wird Anneli in Berlin von einem Bekannten dann nachträglich eine »süße«, weiche Puppe mit Nachthäubchen im Großmütterchen-Look bekommen. Anneli hat letztes wie vorletztes Weihnachten-ihr erstes überhaupt- jeweils von einer ihrer beiden Omas Puppen geschenkt bekommen.
Hat der Großvater von
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