Typisch Mädchen
Maximilian eigentlich recht, als er seinem Enkel die Spielsachen der Mädchen beschrieb?
24. Dezember 1983 (2Jahre, 4 Monate)
Anneli darf heute schon nachmittags baden. Sobald sie im Wasser steht, spreizt sie wie üblich die Beine und pinkelt. Oma, die den Badedienst übernommen hat, reagiert sofort: »Ja, bist du denn der Schorschi, daß du im Stehen dein Wisi machst? Du bist doch kein Bub.« Oma weiß offenbar gar nicht, daß Schorschi sitzt. Für Oma scheint männliches Verhalten schlimmer zu sein als die Tatsache, daß Anneli in ihr eigenes Badewasser pinkelt, was sie auch nicht schätzt.
Nach dem Baden vor dem Besuch des Christkindl werden die einzige weiße Bluse, die einzige weiße Strumpfhose und das einzige Kleidchen- alles Geschenke von wohlmeinenden Mitmenschen - angezogen. Ich habe alles zurechtgelegt. Anneli hat zwar wesentlich schönere und auch teurere Hosen als das getragene Kleidchen, aber für den "Weihnachtsabend darf es nur die Kleidung sein, die auch die Mutter für sich selbst mit einem gehobeneren Lebensgefühl verbindet, nämlich weibliche Kleidung. Meine Gefühlswelt und meine Vorstellungen von Festen und weiblicher Kleidung, die immerhin schon 36jähriger patriarchalischer Gehirnwäsche unterzogen wurden, gelten auch für meine Tochter. Ganz selbstverständlich! Ich entsinne mich einer Stelle in Orwells Roman »1984«; Orwell legt seiner Heldin folgende "Worte in den Mund: »Parfüm auch?« rief er aus.
»Ja, Liebster, auch Parfüm. Und weißt du, was ich als nächstes mache? Ich versuche irgendwo einen richtigen Frauenrock aufzutreiben und ziehe ihn mir anstatt dieser scheußlichen Hosen an. Ich werde seidene Strümpfe tragen und Schuhe mit hohen Absätzen! In diesem Zimmer will ich eine Frau sein, keine Parteigenossin.«
Meine Göttin! Wenn es das ist, was uns zur Frau macht - wie traurig ist es um unsere Weiblichkeit bestellt. Und genau das gebe ich meiner Tochter weiter. Andererseits möchte ich ihr aber Sinn für Schönheit und Feste vermitteln. Wie löse ich diesen Widerspruch?
Es stehen zwei gutgemeinte Intentionen gegeneinander, und es scheint mir alles so verworren zu sein, daß sich eines nicht ohne Ausschluß des anderen erreichen läßt. Auch ich halte die Wahlmöglichkeit der Mädchen zwischen Hose und Kleid/Rock für einen Vorteil, für eine der wenigen größeren Entfaltungsmöglichkeiten im Vergleich zu Männern. Ich frage mich manchmal, was eigentlich so entsetzlich ist an den Kleidchen, von deren sexistischer Natur in den theoretischen Abhandlungen ausgegangen wird. 25 Gegen das Kleid spricht nun allerdings die Verbindung gerade dieses Kleidungsstückes mit der Definition als Mädchen. So, wie es gestern die Verkäuferin im Supermarkt ausdrückte, als sie Anneli als »Buale« ansprach und diese entrüstet betonte, sie sei doch ein »Madl«: »Ja, wennsd du koa Kleidl ohost, dann woaß ma a ned, daß du a Madl bisd.«
Wie bei Orwell; das Kleid macht die Frau, nicht das Geschlecht. An das Wissen um das Geschlecht eines Kindes knüpfen sich aber alle die bekannten und hier im Tagebuch auch nachgewiesenen Behandlungen des Kindes, Und dies ist nun wiederum mit einer Menge Einschränkungen für die Mädchen verbunden. Das Allerbanalste ist allein schon die gebremste Bewegungsfreiheit des Kindes. Eine Nachbarin schimpfte mich aus, als ich ihre Tochter (viereinhalb Jahre) mit zum Spielplatz nahm: »Sie hat nämlich einen Rock und weiße Strumpfhosen an und damit darf sie einfach nicht zum Abenteuerspielplatz, wegen der Erkältungsgefahr und des Schmutzes natürlich!« Das ist aber nur der äußere Zwang durch eine unverständige Mutter. Aufgeschlossene Mütter lassen Hosen zu. Das kleine Mädchen soll all das tun können, was ein kleiner Bub tun kann. Wenigstens hier wird ganz vordergründig den Mädchen Chancengleichheit eingeräumt. Damit könnte frau eigentlich zufrieden sein. Was mir dabei bedenklich erscheint, ist der mit typisierender Kleidung verknüpfte Zwang zur Weiblichkeit, wenn Ästhetik und Schönheit für besondere Anlässe gefragt sind, ohne daß sich gleichzeitig bei den Buben im Hinblick auf deren Entwicklung zu Schönheitssinn und ästhetischem Empfinden etwas änderte. Die armen Buben, die immer nur Kleidung in den für sie reservierten Farben von Dunkelblau zu Braun, Grau und Grün tragen dürfen. Ich bedauere sie und verstand den verkümmerten Schönheitssinn der Männer, als ich im Ka-DeWe vor einem Stand mit Wollkniestrümpfen für Drei- bis
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