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Typisch Mädchen

Typisch Mädchen

Titel: Typisch Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Grabrucker
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Beim Frühstück plappert sie von Zerstören, Hauen, An-den-Ohren-Ziehen und daß böse, freche Buben das machen. Ich frage nach, welche Buben sie damit meine, und bekomme das Trauma vom zerstörten Schneemann zu hören. Klaus hatte ihr erzählt, daß er zwei Buben am Vortag beobachtet hatte, wie sie Annelis Schneemann vor dem Haus zerstörten. Nun hat sich in ihr das Bild des frechen und aggressiven Buben festgesetzt. Wenn ich ihr das ausreden will, werde ich aber ständig von der Wirklichkeit eingeholt, denn Hauen, Schubsen und Zerstören erfährt Anneli hauptsächlich von Buben.
    Wie soll ich durch Überredungskunst ändern, was ständig vorgelebt wird?
    Wir sind bei einer Bekannten mit einem Sohn namens Frieder (vier Monate jünger als Anneli) eingeladen. Es ist das alte Lied. Frieder haut und schubst und nimmt Anneli die Sachen, mit denen sie gerade spielen will, weg. Anneli versucht sich zu wehren, aber Frieder ist robuster, und deshalb gelingt es ihm immer wieder, ihr doch Sachen abzunehmen. Er ist also der Sieger. Da greift Frieders Mutter ein und sagt: »Frieder, jetzt sei doch höflich zu Anneli, gib ihr die Spielsachen und schubs nicht, sie ist doch ein Mädchen.« Diese Aufforderung wiederholt sie im Verlauf der nächsten Stunden mehrmals bei entsprechenden Gelegenheiten.
    Wieder einmal weiß ich nicht so recht, was ich mit dieser Erziehung zur Höflichkeit anfangen soll. Mich beschleicht das Gefühl, daß bagatellisiert wird und daß nicht das Verhalten zweier gleichwertiger Menschen zur Diskussion steht, sondern daß an die Großmut des einen appelliert wird, der anderen doch etwas zukommen zu lassen. Es ist eine Goodwillak-tion, bei der die Macht genau verteilt ist. Der Stärkere wird zur Höflichkeit angehalten. Sein Verhalten wird nicht gefordert, sondern erbeten. Er lernt, eine Gnade auszuteilen. Ich bin bei Müttern von Kleinkindern fast immer auf diese These gestoßen, daß Kinder ihre Konflikte ruhig körperlich austragen können, daß auch Schwächere zur Gegenwehr aufgefordert sind und daß in der Regel der Erfolg der Kraft dann den Konflikt löst, etwa den Besitz an einer Sandschaufel verschafft. Modifiziert wird dagegen die Regel, wenn Höflichkeit zwischendurch einmal anerzogen werden soll, Hier wird das kindliche Faustrecht durchbrochen - die Großmut des Stärkeren wird gelehrt - unabhängig davon, wer von den Streithühnern anfangs überhaupt im Recht war. Der körperlich stärkere Bub lernt so die Geste des Entscheidens und des Gewährens. Es hängt allein von seiner Willensbildung ab, ob er sich großmütig zeigt oder nicht. Das Mädchen lernt das Warten auf seine Entscheidung, das Empfangen und das Hinnehmen, wie immer er sich entscheidet. Ihre Psyche verarbeitet seine Entscheidung. Es gibt für den Buben keine Forderung, der unabhängig von körperlicher Stärke aufgrund einer bestimmten Ausgangssituation nachzukommen ist, weil sich etwa zwei gleichwertige kleine Menschen gegenüberstehen;
    nein, er wird um ein Verhalten gebeten, weil er ein Mädchen als Gegenüber hat. Kann sich ein Mädchen auf diese Weise nicht leicht abqualifiziert fühlen? Ich sehe jedenfalls bei derartigen Situationen an Annelis gespannter Körperhaltung, ihrem unsicheren Ausdruck beim Warten auf die männliche Entscheidung, ihren hilfesuchenden Blicken zu mir, wie es in ihrer Seele kämpft zwischen Empörung über geschehenes Unrecht, dem Verlangen nach Durchsetzung und der Kapitulation vor den Tatsachen, daß die Erwachsenen die Entscheidung in die Hände der Buben legen. Sie jedenfalls kann nichts dazu tun, als warten oder ihr Desinteresse an dem umkämpften Objekt zu zeigen, um sich auf diese Weise seiner Entscheidungsbefugnis zu entziehen.
    Ich überlege, ob das alles nur meine Phantasie ist, finde aber eine Forschungsarbeit von Sozialpsychologen, die sich dieses Komplexes angenommen haben. 3 ' Sie fanden heraus, daß Ritterlichkeit eine verdeckte oder indirekte Form von Misogynie (Frauenfeindlichkeit) ist, die immer nur in Situationen zelebriert wird, in denen die männliche Überlegenheit nicht angezweifelt wird. Es werden eine Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen zitiert, die belegen, daß das Phänomen einer ritterlichen Handlung gegenüber Frauen »sich in ein charakteristisches Syndrom von weiteren Einstellungs- und Verhaltensweisen einordnen läßt, das konservativer Natur ist, z. B. das Autoritäre ...« Sie folgern daraus: »In Wirklichkeit besteht solcherart Ehrerbietung und Rücksichtnahme

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