Typisch Mädchen
bereit, es ihr zu kaufen, tue es aber dann nicht, um die Verstärkung dieser Situation zu vermeiden: Sie interessiert sich fürs Bauen; es wird dazwischengefahren; sie spielt schön mit Puppen; das wird gepflegt durch Herbeischaffen entsprechenden Spielzeugs.
Abends stellen wir fest, daß das Xylophon kaputt ist. Wer setzt sich ganz selbstverständlich hin und repariert es? Klaus. Und ich sage noch völlig gedankenlos: »Jetzt schau mal schön zu, wie der Papi dein Xylophon repariert!«
6. März 1984 (2Jahre, 7Monate)
Ich spiele häufig mit Anneli ein bißchen auf dem Klavier, mit der Flöte, der Gitarre, dem Xylophon und ihrem Tambourin. Sie singt gut und trifft bei den Kinderliedern, die sie kann, nach ein paarmal Singen alle Töne richtig. Ich denke oder bilde mir ein, daß sie vielleicht für Musik begabt sein könnte, Jede Mutter hat wohl manchmal Genieträume für ihr Kind. So geht es auch mir; ich stelle mir vor, daß sie es in der Musik zu ganz Großem bringen könnte. Mir fallen Namen ein - Me-nuhin, Stern, Barenboim, Gould, Karajan, Furtwängler, Orff. Alles Männer - ich finde in meinem Kopf keine Frau obwohl ich natürlich weiß, daß es hochbegabte weibliche Musikerinnen gibt, die »auch« berühmt sind, aber keine Genies ! Und nun entdecke ich mich zu meinem Entsetzen dabei, daß ich den Plan für ein Genieleben von Anneli aufgebe, weil sie ein Mädchen ist. Im Bruchteil einer Sekunde schießt mir der Gedanke durch den Kopf: »Sie ist ja eine Frau - da wird dann aus der wirklich großen Berühmtheit nichts werden, aber es wird reichen für eine nette, überdurchschnittliche Begabung.«
Wie wirkt sich diese Grundeinstellung weiter aus? Werde ich es dabei belassen, da der große Einsatz für das niemals erreichbare große Ziel umsonst ist? Bei wie vielen wirklich zum Genie geborenen Mädchen war es im Lauf der Geschichte so ? Vielleicht haben wir auch deshalb - und nicht nur aufgrund der bewußten Geschichtsverfälschung - so wenig weibliche Genies, weil sie als kleine Mädchen nie und nimmer dafür vorgesehen waren. Vielleicht hieße das Genie aus der Familie Mozart statt Amadeus dann Nannerl Mozart.
7. März 1984 (2Jahre, 7 Monate)
Anneli und ich sind in der Innenstadt unterwegs und passieren die Buchhandlung, vor deren Schaufenstern wir schon vor drei Wochen (am 15. Februar) standen. Auch diesmal sind Kinderbücher ausgestellt, die Berufe zum Thema haben: »Ich bin die kleine Krankenschwester«, »Ich bin die Tänzerin«, »Ich bin die Bäuerin«, und abgebildet sind jeweils kleine Mädchen in entsprechender Berufskleidung. Ich ziehe Anneli schnell daran vorbei.
8. März 1984 (2Jahre, 7Monate)
Schorschi hat sich beim Spiel so verletzt, daß er ein Loch in der Stirn hat, das genäht werden muß. Wir gehen zum Arzt; Schorschi liegt auf einem Tisch, als der Arzt den Raum betritt. Er redet sehr sanft mit Schorschi, streichelt ihn, bezeichnet ihn als Mäderl und fragt, wie er heißt. Da stellt sich heraus, daß Schorschi ein Bub ist. Der Arzt ist wie ausgewechselt. Er entschuldigt sich gleich mal heftig bei Schorschi dafür, daß er ihn für ein Mädchen hielt, und schlägt dann einen kräftigen Ton gegenüber Schorschi an; er spricht von da an mit ihm sozusagen von Mann zu Mann, auf du und du. Er betont jetzt, daß Schorschi tapfer sein müsse, daß es aber so weh täte, daß er dann sogar heulen dürfe. Er ist jetzt besonders nett zu Schorschi; es war ihm - so empfand ich es - offenbar peinlich, Schorschi für ein Mädchen gehalten zu haben, und diese Scharte wollte er wieder auswetzen. Und das alles vor einem Mädchen, denn Anneli ist mit dabei. Ohne daß sie selbst angesprochen war, bin ich mir sicher, daß sie das »Atmosphärische« dieses Stimmungswechsels verstanden hat. Abends sagt sie zu mir: »Und wenn ich dann groß bin, Mami, gell, dann kann ich ein Baby kriegen.« Mein Ja befriedigt sie offensichtlich. Seit einigen Wochen legt sie sich abends beim Einschlafen die Puppe auf den Bauch. Offenbar phantasiert sie ausgiebig Schwangerschaft und befindet sich im Vollgefühl ihrer Geschlechtsidentität. Sie spielt auch Stillen, Dann legt sie sich die Puppe an den Busen.
9. März 1984 (2Jahre , 7 Monate)
Meine Freundin Sophie ist bei uns zu Besuch. Vielleicht liegt es am Fasching, jedenfalls raufen Sophie und ich uns im Spaß am Boden um eine Puppe von Anneli. Anneli sieht mit großen Augen zu, wie wir uns am Boden kugeln. Nach kurzer Zeit habe ich keinen Spaß mehr daran und möchte
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