Typisch Mädchen
mehr in Regeln und Ritualen der Etikette als in humanem Engagement für eine gleichberechtigte Stellung der Frau als Person ... In der Ritterlichkeit hat sich die tatsächliche physische Überlegenheit der männlichen Muskulatur zum Ritual verselbständigt. Sie kommt fast nie zur Anwendung gegenüber tatsächlicher Hilfsbedürftigkeit, sondern dort, wo großmütige Stärke gar nicht gebraucht wird.« Das wird von unseren Zweijährigen also auch gelernt, wenn sie sich in Höflichkeit üben sollen.
Anneli sieht täglich, wie Frauen Babys und Kinder betreuen und pflegen. Sie sieht nicht, daß Männer in gleichem Ausmaß wie Frauen Babys pflegen, sie sieht von keinem der ihr bekannten Männer den Arbeitsplatz. Sie hat keine Vorstellung davon, was diese Männer arbeiten, wohl aber, was Frauen arbeiten, nämlich Babys füttern, wickeln, gehen lehren, liebhaben usw.
Ich versuche, ein Gegengewicht dazu zu finden, indem ich ihr die Ateliers befreundeter Malerinnen, die wir mehrmals besucht hatten, besonders eindringlich in Erinnerung rufe und ausdrücklich von den Malerinnen rede, die Ateliers der Männer unerwähnt lasse; indem ich im Gericht, das ich ihr als meine Arbeitsstelle vorstelle, nur Frauen »vorführe«. Sie soll auch diese Berufe mit Frauen verknüpfen - obwohl es kraß der gesellschaftlichen Realität widerspricht. Lüge ich ihr schon wieder eine andere Welt vor?
Nachmittags besuche ich mit Schorschi und Anneli ein idyllisch gelegenes Gut in unserer Nähe, auf dem es noch alle Tiere eines alten Bauernhofes gibt. Wir finden eine Feder, und ich stecke sie Anneli an die Mütze. Natürlich dem Mädchen, nicht dem Buben - völlig gedankenlos. Ihr Kommentar: »Jetzt bin ich eine Frau.«
Ich bin schockiert davon, daß Anneli im Alter von zweieinhalb Jahren die Definition der Frau bereits von einer läppischen Äußerlichkeit abhängig macht, daß ein bestimmtes Aussehen für sie das Geschlecht ergibt. Anna in Südtirol hingegen definiert beim Bilderbuch-Anschauen eine Person mit Federn auf dem Hut als Papa. Zur Männertracht ihres Dorfes gehört nämlich ein federngeschmückter Hut.
24. März 1984 (2Jahre, 7Monate)
Schorschi und Anneli essen mit mir zu Mittag Pfannenkuchen. Ich verteile die Stücke auf zwei Teller und stelle fest, daß auf einem Teller die größere Portion ist. Wem gebe ich sie? Natürlich Schorschi, und ich denke dabei, daß er als Bub wohl den größeren Hunger haben und mehr essen werde als Anneli. Ich trage meine Erwartung an männliches
Eßverhalten jetzt schon an den zweieinhalbjährigen Buben heran.
Aufgrund dieser Erkenntnis beobachte ich die Kinder genau und stelle fest, daß Schorschi die Portion um genau den größeren Teil zuviel ist und er das Essen nicht mehr mag. Ich animiere ihn nicht weiter, aufzuessen, wie ich es sonst möglicherweise getan hätte, da ich der Ansicht gewesen wäre, daß das die für ihn angemessene Portion gewesen sei. Warum muß eigentlich immer noch der männliche Mensch größere Portionen bekommen als der weibliche Mensch? Weil auch meine Oma dem Opa schon das größere Stück gab und die Mama dem Papa.
25. März 1984 (2Jahre, 7Monate)
Klaus kommt abends vom Dienst nach Hause; er bringt An-neli zwei kleine Spielzeugautos mit und spielt mit ihr anschließend. Ich unterbreche das Spiel wegen irgendeiner Banalität. Klaus ist sauer und wirft mir vor, ausgerechnet jetzt, wo er Anneli Technik nahebringen wolle, zu stören. »Technik nahebringen« ist wohl wieder mal Sache des Vaters, und dabei fällt mir gleich ein, daß es sich in letzter Zeit immer so ergab, daß ich ihr die Puppen schenkte und Klaus die Baukästen und Autos. War das Zufall?
Wir unterhalten uns abends darüber und stellen fest, daß wir beide auf Spielzeug unserer Jugend fixiert sind und einfach kein Auge für das »andersgeschlechtliche« Spielzeug haben.
26. März 1984 (2Jahre, 7Monate)
Unsere Kleinfamilie sitzt beim Frühstück. Wir hören nebenbei im Radio ein Maultrommelkonzert. Klaus stellt hingerissen fest: »Ist ja toll, wie der Mann spielt.« Ich sehe ihn an. Zwei Tage vorher erst hat er in meinem Tagebuch gelesen. Er korrigiert sich sofort und setzt hinzu: »Oder die Frau, ich weiß es ja nicht.« Anneli hat alles mitgekriegt und aufmerksam zugehört.
Christa und ich fahren mit Anneli und Schorschi ins Engadin.
Bei einem Autohalt finde ich neben dem Auto eine Zopfspange. Ich zeige sie Christa und den beiden Kindern. Beide Kinder sind gleich interessiert an dem Spangerl
Weitere Kostenlose Bücher