Tyrann Aus Der Tiefe
zu, Robert – mir bleibt nicht viel Zeit. Du bist in Gefahr! Verlasse diesen Ort, so schnell du kannst! Man trachtet dir nach dem Leben!«
»Vater!«, keuchte ich noch einmal fassungslos. Ich hörte seine Worte kaum. Mein Blick saugte sich an seinem Gesicht fest, und für einen Moment vergaß ich sogar zu atmen. »Aber du … ich dachte, du wärest tot!« stammelte ich. »Wo bist du?«
»Der Tod ist nicht das, wofür ihn die Menschen halten«, antwortete mein Vater geheimnisvoll. »Vielleicht finde ich später einmal Gelegenheit, dir alles zu erklären, aber jetzt musst du gehen. Du bist in Gefahr, und ich kann dir nicht helfen. Meine Kräfte schwinden bereits.«
Tatsächlich wurde seine Stimme zunehmend leiser, und durch die schmalen Züge seines Gesichtes im Spiegel schimmerten bereits wieder meine eigenen hindurch.
Mit einem Schrei warf ich mich gegen den Spiegel, presste die Handflächen gegen das kalte Glas und rief immer wieder seinen Namen.
Es war zwecklos. Sein Bild verblasste, und seine Stimme wurde leiser und leiser. »Flieh, Robert!«, rief er mit schwindender Kraft. »Verlasse diesen Ort, ehe die Sonne untergeht, oder du wirst sterben!«
Damit verschwand er, und ich sah wieder meinem eigenen Spiegelbild ins Gesicht.
Aber der Spiegel blieb nur eine Sekunde leer. Der Vorhang hinter meinem Rücken bewegte sich, und für einen Moment bauschte sich der dünne Stoff und zeichnete die Umrisse eines gewaltigen, monströsen Körpers nach. Ein Körper, der viel größer als der eines Menschen war. Massiger. Und mit zu vielen Armen.
Mit einem gellenden Schrei auf den Lippen fuhr ich herum, im gleichen Moment, in dem der Vorhang vollends heruntergerissen und von einer Urgewalt zur Seite geschleudert wurde.
Aber der Eingang der Kabine blieb leer!
Für die Dauer eines Herzschlages starrte ich fassungslos auf den offen stehenden Durchgang. Ich hatte die Umrisse des Dings ganz deutlich durch den Stoff gesehen, und der Fäulnisgestank nahm mir schier den Atem, aber ich war weiter allein in der Kabine.
Und plötzlich ging alles unglaublich schnell. Ein tiefer, unendlich tiefer, grollender Laut erklang, dann hatte ich das Gefühl, von einem unsichtbaren Bullen gerammt und mit grausamer Macht zur Seite geschleudert zu werden. Die winzige Kabine erzitterte in ihren Grundfesten, als ich gegen die Wand prallte, gleichzeitig hörte ich ein helles, metallisches Klingen, und der Spiegel an der Rückwand bog sich wie unter einem Fausthieb durch, zerbrach aber nicht.
Für einen winzigen, zeitlosen Moment sah ich alles mit phantastischer Klarheit. Meine Hand hatte dort, wo sie den Spiegel berührt hatte, einen blutigen Daumenabdruck hinterlassen. Und genau dieser Abdruck war das Ziel des Unsichtbaren!
Ich sah, wie die Blutstropfen sich kräuselten, in Sekundenschnelle gerannen und gleich darauf zu kochen begannen. Der ganze Vorgang dauerte nur wenige Sekunden, aber dort, wo das Blut gewesen war, war plötzlich ein schwarzer, verkohlter Fleck, in dessen Zentrum das Glas geschmolzen war.
»Robert! Flieh!«
Diesmal versuchte ich gar nicht erst zu ergründen, woher die Stimme kam. Mit einem entsetzten Schrei federte ich auf die Beine und aus der Kabine, sprang, rollte über die Schulter ab und kam mit einer ungeschickten Bewegung wieder hoch. Hinter mir zerbarst die nur aus dünnem Sperrholz gefertigte Umkleidekabine in einer lautlosen Explosion. Der Fäulnisgestank wurde übermächtig, und obwohl ich noch immer kein lebendes Wesen sah, hatte ich das Gefühl, eine Woge von Dunkelheit zu sehen, die aus der zertrümmerten Kabine herausbarst.
Aber noch erreichte sie mich nicht. Mein Daumen blutete noch immer, und ich hatte eine unterbrochene Spur kleiner runder Blutstropfen auf dem Boden hinterlassen. Der Vorgang war hier nicht so deutlich zu erkennen wie auf der Oberfläche des Spiegels, aber es war dasselbe: Das Blut zog sich zusammen, begann zu schwelen und zu kochen und verschwand schließlich ganz. Zurück blieb eine münzgroße, verkohlte Stelle auf den Fußbodenbrettern.
Und der Unsichtbare kam rasend schnell näher, und obwohl er wie ein Bluthund, der einmal auf der eingeschlagenen Fährte blieb, nicht direkt auf mich zukam, sondern im Zickzack der Blutspur folgte, bewegte er sich doch noch immer viel schneller als ein Mensch.
Endlich erwachte ich aus meiner Erstarrung. Ich fuhr herum, flankte kurzerhand über die niedrige Ladentheke und rannte, so schnell ich konnte, auf den Ausgang zu. Hinter mir flackerten
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