Tyrannenmord
Weg. Leichen, tote Pferde Hausrat und vielerlei Gerümpel, alles lag heillos durcheinander. Hinzu kam, dass die Tiere nicht genug zu saufen hatten und auch manch einer der Überlebenden vom Trinken des Salzwassers abgehalten werden musste.
Sowie der Morgen graute, waren die feindlichen Piloten zur Stelle und schossen mit ihren Bordkanonen wahllos auf alles, was sich bewegte. Die Menschen flüchteten in panischer Angst, sodass sich bei einem der Angriffe der kleine Fritz und die Tante, die ihn instinktiv aus dem sinkenden Wagen gerissen hatte, zwischen vereinzelten Menschentrauben wiederfanden. Jeder versuchte nur noch sein Leben zu retten. Ständig schaute sich Fritz suchend nach seiner Mutter und den Großeltern um und wollte sich von der Tante losreißen, weil er nicht begriff, dass die Menschen, die er liebte, nun so plötzlich verschwunden sein sollten. Entgegen ihrer Annahme, dass der Rest der Familie den Tieffliegerangriff nicht überlebt hatte, hielt sie es im Moment für das Beste, den Kleinen auf ein späteres Zusammentreffen mit den Seinen zu vertrösten. Unter großen Strapazen und Gefahren erreichten sie schließlich Danzig und das bereits wartende Schiff nach Dänemark. Die Tiefflieger ließen nicht von der Zivilbevölkerung ab und schossen sogar beim Besteigen des Schiffes auf die fliehenden Menschen.
Und hier wartete das fürchterlichste Bild der ganzen Flucht auf den kleinen Fritz, ein Bild, das ihn bis ans Ende seiner Tage gleich einem sich in Endlosschleife abspielenden Film verfolgen würde. Während ihn die Tante die Gangway zum Schiff hinaufzog, sah er im Hafenbecken zwischen Kaimauer und Schiffsrumpf den Körper eines leblosen kleinen Mädchens treiben, die Augen offen und starr in den Himmel gerichtet, die geliebte Puppe noch fest umklammert, während sich gleichzeitig im gewellten Wasser ein von der Morgensonne angestrahlter Tiefflieger spiegelte, der mit dröhnenden Motoren weiter sein grausames, erbarmungsloses Geschäft verrichtete.
Nina war jetzt hellwach und dachte noch lange über das Schicksal der Flüchtlinge nach. Ihre Schwierigkeiten erschienen ihr dagegen für einen Moment nicht ganz so ausweglos zu sein. Trost, den Joe ihnen mit dieser Geschichte wohl hatte geben wollen, konnte Nina nicht finden.
Als Joe von Nina und Ben in die kleine Kate seines Vaters zurückgekehrt war, hatten sich wechselnde bunte Bilder im Wohnzimmer ein Stelldichein gegeben. Der seelische Zustand seines Vaters schien sich tatsächlich einigermaßen stabilisiert zu haben, denn er hatte friedlich vor einer dieser ewig gleichgestrickten, pilchernden Seifenopern gesessen.
Manchmal kicherte er – anscheinend gänzlich weltvergessen in sich hinein. Nur einem Außenstehenden konnte diese vermeintliche Idylle trügen, denn in der Nacht würden dem Vater erneut Albträume einholen, das wusste Joe nur zu gut.
Immerhin war der Vater jetzt in einer, wenn auch nur zeitlich begrenzten, heilen Welt vorerst aufgehoben und deshalb störte Joe ihn nicht weiter. Er zog sich leise in sein kleines Arbeitszimmer auf dem Dachboden zurück, machte es sich mit einem irischen Whiskey bequem und überlegte, wie man auf das ganze Dilemma wohl einwirken könnte. Von den Hauptbetroffenen taten ihm besonders Ben und Nina leid, die Angst hatten, ihre mühsam aufgebaute Existenz zu verlieren. Das wollte er nicht mitansehen. Er spielte gedanklich die Möglichkeiten durch, die ihnen gegeben waren, um die nächsten Biker-Invasionen abzuwehren. Sperrungen, künstliche Umleitungen oder Sitzblockaden konnten das massive Verkehrsaufkommen der Biker allenfalls erschweren, jedoch auf Dauer nicht verhindern. Drastischere Maßnahmen wie Nägel oder Öllachen wären da viel wirksamer, weil sich keiner der Biker mehr wirklich sicher fühlen könnte, aber das würde schwere Unfälle vielleicht sogar Nichtbeteiligter zur Folge haben und kam daher nicht infrage. Des Weiteren könnten sie direkt vor Ort demonstrieren, Handzettel drucken und die Presse einschalten. Parallel dazu böte sich an, das Gespräch mit den beteiligten Parteien zu suchen, dem Bikertreff-Inhaber, der Kirche und der Gemeindevertretung. Am besten wäre es daher, sehr bald alle Anlieger zusammenzutrommeln.
Joe lehnte sich nachdenklich zurück und merkte auf einmal, wie sich angenehme Müdigkeit in seinem Körper unaufhaltsam breitmachte. Er sah vorsorglich nach seinem Vater, der inzwischen vor dem Bildschirm eingenickt war. Er stellte das Gerät ab, unterließ wohlweislich, den
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