Tyrannenmord
paar Jahren das alte, damals bereits leer stehende Schullandheim erworben und dort inzwischen eine kleine Gastronomie, genauer gesagt, eine Frühstückspension mit Ferienwohnungen aufgebaut. Ja, das ist super, was die beiden dort hinbekommen haben, wenn man bedenkt, dass vorher auf dem Anwesen nichts los war. Ja, und als das hier mit den Motorradkameraden so richtig losging, will heißen, dass auf der Langballiger Landstraße an den Wochenenden täglich mehrere Hunderte dieser Brüder ihren Gestank verbreiteten und die ganze Gegend mit einem unentrinnbaren Lärmteppich überzogen, da durfte ich als einfacher Streifenbeamter lediglich Ermahnungen aussprechen, die sowieso nicht ernst genommen wurden. Und Ordnungswidrigkeiten wie dieses leidige Zuparken den ganzen Strandweg entlang zu ahnden, kam einem fäkal-verbalen Spießrutenlaufen gleich, weil diese Kerle einfach keine Erziehung genossen haben. Die zerknüllten und zerrissenen Formulare der Knöllchen später am Straßenrand sprachen für sich.« Hensel fummelte aufgebracht nach einer Zigarette, steckte sie aber mit einem hörbaren Klack in das silberne Zigarettenetui zurück. »Ach, ja, und beim ›Utspann‹ sind aufgrund der Ereignisse dann die Gästezahlen zurückgegangen, Thams haben mir persönlich ihr Leid geklagt, aber was soll ich als einfacher Polizist da ausrichten? Des Weiteren wären die direkten Nachbarn der beiden zu nennen. In der kleinen Kate daneben wohnt Joe Keim mit seinem alten Vater. Joe war, soviel ich weiß, mal Journalist und soll angeblich eine ganze Weile bei einem Indianerstamm in Arizona zugebracht haben. Während der Vater, bei einem Tieffliegerangriff im Zweiten Weltkrieg – so meine ich es mal verstanden zu haben – beide Eltern verloren hat und seitdem besonders den Lärm dieser hochgepeitschten Maschinen nicht erträgt.«
Hensel räusperte sich und ließ die Seitenscheibe des Streifenwagens halb herab. Die Beamten konnten hören, wie auf dem inzwischen verlassen und ruhig daliegenden Gelände der Wind von der See her sanft irgendwelche Tannengehölze streichelte und mit mildem Rauschen durchkämmte.
»Parallel zur Langballiger Landstraße«, fuhr Hensel fort, »am kleinen Wirtschaftsweg, befindet sich der Resthof des sich im Ruhestand befindlichen Landwirts Hinz Henningsen, der als überzeugter, passionierter Waidmann fürchtet, dass das Wild von seinem privaten Jagdgebiet vergrämt wird. Und außerdem wäre da noch Erika Long, die keine 500 Meter weg, eine private Tierauffangstation betreibt.« Hensel richtete sich etwas auf. »Ja, Herr Hauptkommissar, das wären die Hauptbetroffenen, die neben den weiter verstreut wohnenden Anliegern, sich wohl das eine oder andere Mal getroffen haben und ferner verschiedentlich in Erscheinung getreten sind.«
»Wie ist das zu verstehen, Herr Hensel?«, nahm Isabell zur Abwechslung den Faden auf. »Könnten Sie bitte deutlicher werden?«
»Mensch, Kinninks, sind wir hier eigentlich beim Kriminaldauerdienst?«, beschwerte sich Hensel unvermittelt und sah betont umständlich auf seine Armbanduhr. »Wie lange wollt Ihr mich denn noch foltern, ich muss langsam ins Bett.«
»Gemach, gemach, lieber Herr Hensel, so ein Fall haben Sie hier nicht alle Tage und gleich sind wir mit dem Thema ja fürs Erste durch«, erwiderte Schmidt relativ unbeeindruckt und in der Sache wenig nachgiebig. »Tun Sie uns den Gefallen und beantworten Sie bitte die Frage meiner Kollegin!«
»Also gut«, gab sich Hensel geschlagen und gähnte wieder. Dieses Mal jedoch hinter vorgehaltener Hand, als hätte er sich plötzlich an besseres Benehmen erinnert. »Es fing damit an, dass Joe Keim und Ben Thams beim Bürgermeister vorstellig wurden, und auf Änderung der, wie sie meinten, für sie bedrohlichen Entwicklung pochten.« Gab sich Hensel amtlich. »Als Nächstes errichtete Hinz Henningsen am Wirtschaftsweg eine Barriere aus Strohballen und bedrohte die Biker zusätzlich mit einer seiner Flinten, um sie am Passieren und Weiterfahren zu hindern. Erst als ich mit einigen Kollegen vor Ort erschien, erklärte er sich hinsichtlich der angedrohten Konsequenzen bereit, die Blockade unter unserem Schutz aufzulösen. Seitdem läuft gegen ihn eine Anzeige wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Eingriff in den Straßenverkehr und ferner wegen Nötigung. Später, als die Biker-Armada sich bereits in Richtung Langballigau zubewegte, wurde diese von einem Modellflugzeug attackiert, dessen Halter übrigens unerkannt
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