Tyrannenmord
draußen bereits der Morgen graute, löschte Raoul beruhigt das Licht und versuchte ein wenig zu schlafen
11. Aufnahme der Ermittlungen
Dorfpolizist Hensel und der herbeigerufene Notarzt konnten vor Ort nur noch den Tod des Kneipiers feststellen. Hensel war ziemlich erleichtert, als endlich die Beamten von der Spurensicherung eintrafen, denn es hatte ihn einige Mühe gekostet, diverse Neugierige, darunter viele Bekannte, vom Ort der Tat fernzuhalten. Überall standen Biker, Camper und Bürger aus der Gegend einzeln oder in Gruppen herum. Die meisten tauschten sich je nach Temperament mehr oder weniger erregt über den schrecklichen Vorfall aus. Andere beobachteten wortlos die Beamten, wie diese den Platz vor der Kneipe mit Absperrbändern eingrenzten und auf dem Boden einige Markierungen mit Kreide vornahmen, um die Entfernungen und den Standort der Leiche nach erfolgten Abtransport, genau bestimmen zu können.
Während aus der Kneipe die letzten Takte von ›Born To Be Wild‹ die Szenerie untermalten, blitzten bereits Polizeikameras auf. Der eben noch so betriebsame, anscheinend unaufhaltsam über Leichen gehende Thomsen war abrupt für immer Geschichte. Es schien, als wäre er nie dagewesen, allenfalls war da noch eine flüchtige Erinnerung an eine böse Figur, wie aus einem schlechten, bereits viel zu oft ertragenen Film.
Inzwischen waren auch Hauptkommissar Schmidt und seine Assistentin Isabell am Ort des Geschehens eingetroffen. Als Keller sie erblickte, einer der Beamten der Spurensicherung, kam er ihnen bereitwillig einige Schritte entgegen. »So etwas habe ich während meiner gesamten Dienstzeit – und das sind immerhin fast an die fünfundzwanzig Jahre – noch nicht gesehen, Herr Hauptkommissar«, eröffnete Keller seinen mündlichen Bericht.
»Und das wäre?«, fragte Schmidt, ein drahtiger Mann, so um die Fünfzig. »Sie machen mich ja direkt mal neugierig.«
»Andy Thomsen, bisher Kneipier und Mitbesitzer dieses Ladens«, Keller deutete auf die am Boden liegende Gestalt, die bereits mit Schutzfolie abgedeckt war, »ist nach Art der Verletzungen zu urteilen, fast zeitgleich von zwei verschiedenen Tätern getroffen worden, wobei von der Gerichtsmedizin später zu klären ist, welcher der beiden Treffer letztlich tödlich verlief. Der Notarzt kann euch dazu sicher mehr erzählen.« Keller zeigte auf einen Mann mit Halbglatze, der mit Hensel etwas abseits zusammenstand.
»Ja, Herr Hauptkommissar, das ist sehr ungewöhnlich«, betonte der Arzt, nachdem er und Hensel sich den Flensburger Kripobeamten vorgestellt hatten. »Eine Leiche mit zwei dermaßen unterschiedlichen Schussverletzungen und das fast zum gleichen Zeitpunkt … ob das wohl etwas mit dem Spruch, doppelt genäht hält besser zu tun haben könnte?«
»Zwei unterschiedliche Schussverletzungen, sagen Sie?« Schmidt streifte Schutzhandschuhe über und entfernte vorsichtig den oberen Teil der Abdeckfolie, sodass Kopf- und Brustbereich der Leiche sichtbar wurden. Als er den gefiederten Pfeil in der Wunde stecken sah, der wahrscheinlich – nach dem Blutverlust zu urteilen – die Halsschlagader getroffen hatte und das Einschussloch der Gewehrkugel direkt über dem linken Schlüsselbein entdeckte, stieß er einen kurzen, fast tonlosen Pfiff aus.
Da von der Forensikern alle relevanten Spuren bereits aufgenommen worden waren und Schmidt somit durch seine Untersuchung vor Ort keine besondere Rücksicht mehr zu nehmen brauchte, drehte er anschließend den Körper des Toten in die linke Seitenlage und stellte fest, dass es sich um einen glatten Durchschuss handelte. Er stand wieder auf und sah geradeaus, rüber zur Dünenlandschaft, deren dunkle Konturen sich in der Morgendämmerung inzwischen gegen das etwas heller gefärbte Meer abzeichneten. Weiterhin schweigend sah er zur rechten, kleinen, mit Buschwerk bewachsenen Anhöhe hinauf. »Da werden wir gleich bei Tagesanbruch suchen müssen«, sagte Schmidt mit einem Seitenblick auf Isabell und Keller, Forensiker und Chef des Spuren-Erkennungsdienstes. »Das Projektil des Gewehres habt ihr bereits sichergestellt?«
Keller nickte. »Ja, es steckte hinter dem Eingangsbereich, etwa in Schulterhöhe in einem der Eichenbalken. Das Einschussloch mitsamt Schmauchspuren haben wir bereits dokumentiert.«
»Gab’s irgendwelche Zeugen?«, wandte sich Schmidt an Hensel.
»Na ja, den nach dem Anschlag erfolgten Zusammenbruch Thomsens haben ja bestimmt ein gutes Dutzend Gäste ziemlich hautnah
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