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Über Alle Grenzen

Über Alle Grenzen

Titel: Über Alle Grenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lama Ole Nydahl
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Mao-Einheitsuniform; wir nannten sie bald wieder die “Zwillinge” wie schon 1968 in Nepal. Dass eine Milliarde Menschen ein solches Ameisenkarma haben sollten, war kaum vorstellbar.
    Das Boot legte in Guangchu (Kanton) an, einer Stadt, die von den Engländern erbaut worden war. Wir wurden direkt in ein Hotel gefahren, wo die Bedienung versuchte, alle Fremden im Haus festzuhalten, damit sie sich die Stadt nicht anschauten. Wir ließen uns das allerdings nicht gefallen.
    Ein paar Stunden auf dem Markt und im Zentrum der Stadt waren uns lehrreich: Die Einwohner glotzten bloß, und keiner wagte es, Verbindung aufzunehmen. In der Schule lernten sie immer noch, dass wir “weiße Teufel” seien. Alles wirkte arm, grau, eng und unfrei. Die große und freie sozialistische Bruderschaft war offenbar misslungen, und die Entfremdung, unter der wir im Kapitalismus hätten leiden sollen, war hier bestimmt nicht abgeschafft.

    Der Bus nach Guilin fuhr bald durch die Drachenzahnberge. Sie sahen wie die Kulissen einer chinesischen Kunstschule aus: Hohe, spitze Berge ragten direkt von einer flachen Ebene aus in die Luft. Sogar die verknitterten Bäume waren genau wie auf den alten Bildern. Die Berge waren durch einen früheren Meeresboden als Lava hochgepresst und dann im Wasser gehärtet worden. Als sich vor einer dreiviertel Million Jahren das Gebiet durch den Druck der indischen Erdmassen gegen Eurasien hob, entstanden die Drachenzähne.
    Guilin war erstaunlich lebendig. Die Stadt lag in einer “ökonomisch halbbefreiten” Zone. Es war den Menschen erlaubt, sich gegenseitig etwas auszubeuten. Das hielt sie in Form. Wenige trugen Uniform, mehrere lächelten sogar, und einige waren fast sexy. Viele Einheimische wollten die Landeswährung in Touristengeld wechseln, damit sie die besseren Waren in den Devisenläden kaufen konnten.
    Nach einem Tag in volkseigenen Bussen erreichten wir die nächste Stadt. Die Menschen waren hier so widerwillig wie die kalte, nasse Einöde, in der sie lebten. Dies war - wie viele China beschreiben - der Grund, warum so wenig Reisende zurückkehren wollen. Sich in der Macht solcher Menschen zu befinden, muss furchtbar sein. Eine Zeitlang schubste ich die Leute herum. Ich wollte sehen, ob ihre verbitterten Gesichter noch saurer werden konnten, aber dann mussten wir an die Weiterfahrt denken. Das war jedoch nicht so leicht. Rotchina hatte nur einmal im Jahr Urlaub, fünf Tage an Chinesisch Neujahr im Januar oder Februar. Daher reisten alle zu dieser Zeit, falls sie die notwendige Erlaubnis bekamen.

    Eine Frau in Uniform, der die blauen Augen der “weißen Teufel” sichtlich gefielen, verschaffte uns Stehplätze in einem Zug, der weiter nach Chengdu fuhr. Die Fünfmillionenstadt liegt nur ein paar hundert Kilometer von den Bergen Osttibets entfernt; jeder Quadratzentimeter auf dem Weg dorthin wird landwirtschaftlich genutzt, was schon übertrieben wirkte. Auch die Hunde und Ratten in ihren Käfigen vor den Gaststätten waren unheimlich, sie würden bald mit einem Apfel im Mund auf dem Teller erscheinen. Wir wünschten uns oft eine gute Zange zum Aufbrechen der Käfige.
    Chengdu war, grau und trostlos. Die Luft ließ Mexico City oder Athen wie Kurorte erscheinen. Millionen kleiner Kohleöfen, die den Brennstoff nur halb nutzten, machten die Atmung fast unmöglich, die Hälfte der Bevölkerung trug weiße Gaze-Schutzmasken vor Mund und Nase. Zudem war die Stadt staubig, unfreundlich und nasskalt - wirklich kein Ort zum Verweilen.
    Als wir in das größte Touristenhotel eintraten - ein riesiger gelber Kasten, vor dem 1989 zur Zeit des Aufstands auf dem Tianmen-Platz Hunderte getötet wurden - kamen Pedro und Jacek gerade die Treppen herunter. Sie waren einen schnelleren Weg gefahren und hatten schon Bilder eines nicht zerstörten Buddha etwas weiter flussabwärts gemacht. Zudem kannten sie die örtlichen Wechselkurse für ausländische Währung und wussten, wo man essen konnte, ohne krank zu werden. Das Hotel war uns mit neun Dollar pro Raum und Nacht für ein so armes Land entschieden zu teuer; auf dem Weg zu einem billigeren Angebot landeten wir vorerst in einer unterirdischen Kaffeestube. Dort waren zu unserem großen Erstaunen richtig lebendige und moderne Menschen. Nach nur drei Tagen in Rotchina standen uns schon Mund und Augen offen, wenn wir wachen Menschen begegneten.
    Ein paar hundert Meter weiter lag das billigere Hotel, dessen einziger Raum wie ein Dampfbad war: das Warmwasserrohr war

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