Über Alle Grenzen
überängstlich wie andere, wenn es um China geht – hatte sich aufgemacht. Sie hatte wohl entdeckt, dass man an China nur Geld verlieren konnte, und ließ Regierungsvertreter an den Veranstaltungen teilnehmen. Das war eine deutlichere Stellungnahme für Tibets Freiheit als je zuvor. Aus dem Vortrag des Dalai Lama, hochintellektuell mit “Berührungspunkte zwischen westlicher Wissenschaft und tibetischem Buddhismus” angekündigt, wurde genau das, was die Menschen brauchten: die Einsicht eines liebevollen und weisen Mannes, warum Zorn zu vermeiden ist. Als ein etwas zugeknöpfter Herr am Ende darum bat, auch etwas zum angekündigten Thema zu hören, antwortete der Dalai Lama entwaffnend: “Darüber weiß ich leider nichts.”
Meine kräftigen Schüler schützten Haus und Gäste rund um die Uhr, und bei der letzten Veranstaltung, den Belehrungen im Zentrum, kam genau die Anzahl Personen, für die Platz war. Ich war ungewöhnlich gerührt, als ich dem Dalai Lama im Namen Karmapas dankte und ihn wieder einlud. Unsere Sache wurde während dieser Tage ein gutes Stück erwachsener. Das passte auch sehr gut zur staatlichen Anerkennung des Buddhismus als Religion, die der tüchtige Mönch Tendar in Dänemark inzwischen durchgesetzt hatte. Unser Freund Johannes Aagaard, Leiter des Christlichen Dialogzentrums in Aarhus, das die Sekten unter die Lupe nimmt, hatte uns dabei sehr unterstützt, aber damals den Moslems und Hindus nicht das Einverständnis gegeben. Ich konnte jetzt behördenmäßig trauen und bestatten.
Im November musste Hannah wieder nach Bodhgaya zu Kalu Rinpoches Übersetzungsgruppe: Es machte ihr zwar keinen Spaß, sie hatte es ihm aber versprochen. Nach erstaunlichem Wachstum in fast allen Zentren östlich des Rheins – ich blieb jetzt öfter auf den Rat von Sys hin zwei Tage an einer Stelle – feierten wir Weihnachten mit Pedros Familie in Karma Gön. Auf dem Bergrücken nahe Malaga hatten Pedros Großzügigkeit und die Arbeit naher Freunde eine gut gebaute Dorfhälfte entstehen lassen, und wir wollten auch die zweite Hälfte: Bei Besuchen von Kauflustigen für die Hütten, die wir uns noch nicht hatten leisten können, versprach Björn, nackt oder in rotes Tuch gehüllt auf die Dorfstraße zu springen und eine Knochentrompete zu blasen. Maias Manuskriptseiten stapelten sich, während Don und ich mit richtig schweren Vorschlaghämmern ein paar morsche Häuser zertrümmerten, die wir gerade hatten kaufen können.
Karma Gön by night
Ende 1988 flogen wir zum dritten Mal in diesem Jahr nach Amerika. Wie üblich war dies der Beginn unserer jährlichen Weltreise.
In New York wartete ein Brief, dessen Inhalt das Vertrauen Amerikas zum Buddhismus sehr erschüttern sollte; er wurde zugleich ein wichtiger Anlass für dieses Buch. Der Brief enthielt peinlichste halbseitige Artikel der wichtigsten Zeitungen Amerikas über den Regenten Ösel Tendzin der Dharmadhatu-Organisation, dessen Lehrer Trungpa Tulku vor einigen Jahren an Leberversagen gestorben war. Tendzin hätte seit 1985 wissentlich Aids an seine meist männlichen Partner weitergegeben. Eine Mutter aus Colorado, deren Sohn angesteckt worden war, hatte es an die Öffentlichkeit gebracht. Es war eine üble Geschichte, und unsere Linie wurde mit hineingezogen. Obwohl der so straff geleitete Verein sich über die Jahre hinweg dem Einfluss Rumteks entzogen und einen riesigen eigenen Machtapparat aufgebaut hatte, wurde er mehrmals als der Karma-Kagyü-Schule angehörend erwähnt. Dies hatten wir wirklich nicht verdient, und sobald Lisa und Tomek uns zwei Überführungsautos besorgt hatten, ging die Fahrt nach Norden durch die schöne Winterlandschaft. Es gab Wichtiges mit Jamgön Kongtrul Rinpoche im Woodstock-Kloster zu bereden; wie im letzten Winter sollten wir uns an der Ostküste begegnen. Aus Sorge über den Skandal war Jamgön Kongtrul Rinpoche so krank geworden, dass wir nicht in sein Zimmer stürzen wollten. Als er am nächsten Tag darauf mit uns einen Kriegsrat abhalten wollte, zeigte er sich über die Vorgänge völlig verzweifelt und sagte: “Wir, die Linienhalter, haben Ösel Tendzin mehrmals gebeten, zurückzutreten. Aber er lehnte das ab. Stattdessen fuhr er zu Kalu Rinpoche und ließ sich einen unterstützenden Brief schreiben. Wir hoffen, dass seine Organisation ihn zum Rücktritt zwingen kann, bevor Karmapas Arbeit noch mehr Schaden nimmt. Selbst haben wir aber keine Mittel. Er ist wirklich ‘beyond Dharma’.”
Nach einer viel
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