Über Alle Grenzen
Tomek erst auf die Felsen und dann auf den Strand geworfen wurde, entdeckte er zu seiner Freude, dass nach dem Bewussten Sterben jede Todesangst verschwunden ist. Weiter draußen in den Wellen dachte ich: “Ole, du Dummkopf. Jetzt schon wieder!”, und wurde von einem Surfbrett gerettet. Zwei Jahre vorher war ich mit Peter, heute in München, der sein Leben für mich eingesetzt hatte, dort auf die Felsen geworfen worden. Ein paar Minuten danach war ich wieder in den Wellen, aber Maia stand lange unter Schock. Sie hatte mich schon sterben sehen.
Mit Dechen und Jason auf Maui
Auf dieser schönen Insel beschloss ich auch, Ösel Tendzins Aids-Geschichte über Gabi stufenweise nach Europa weiterzuleiten. So konnten wir den Nachrichtenstrom selbst steuern und dabei unserer Linie den Rücken freihalten. Mein Mo gab zu dieser Vorgehensweise die beste Antwort überhaupt. Die Unruhe, die innerhalb der Kagyüpas entstehen würde, wäre sowieso auf der Seite unserer Gegner und “Friede-Freude-Eierkuchen”-Buddhisten, die so wenig mein Fall sind. Sie mussten ständig wachgerüttelt werden, um überhaupt ein bisschen selbständig zu denken und ihren Augen zu trauen.
Nach Zurückziehungen und Vorträgen auf drei Hawaii-Inseln kehrten unsere Freunde nach Deutschland und Dänemark zurück. Tomek und ich flogen am 2. Februar 1989 über Tokio nach Bangkok und Kalkutta. Aber Hannah war nicht da! Mit dem bitteren indischen Tee klärten wir unsere Köpfe, und als meine Mos sagten, dass Hannah nicht in Bodhgaya, nicht im Zug und auch nicht irgendwo anders wäre, stand sie auf einmal vor uns, frisch und gesund. Es hatte irgendeinen Streik auf dem Weg gegeben. Wir nahmen den überfüllten Zug nach Gaya und anschließend das Taxi nach Bodhgaya, wo Hannah Kalu Rinpoche und seinen Übersetzern half. Die wild wechselnden Stromstärken in Indien hatten vor kurzem Kalu Rinpoches Computer zerstört, und nun spuckte Hannahs kleiner Drucker die wichtigen Texte aus. Nur wenige von der ursprünglichen Gruppe waren dieses Jahr wiedergekommen, obwohl er sie von ganzem Herzen darum gebeten hatte und aus eigener Tasche die Verpflegung und falls notwendig sogar den Flug bezahlte. Fast alle hatten die dreijährige Zurückziehung der Mönche schon zweimal gemacht; wir kannten uns seit Jahren. Da es nur wenige Begegnungen gab und wir recht unterschiedliche Ansichten haben über die Art, die Lehre im Westen zu verbreiten, herrschte eine gewisse Spannung.
Für seine sechsundachtzig Jahre ging es Kalu Rinpoche gut. Es war viel zu lange her gewesen, dass wir uns gesehen hatten. Seine Erinnerungen an unsere Fahrten durch Europa vor fünfzehn Jahren waren haarscharf, und vor allem lachte er über den Zen-Meister im “Haus der Stille”, der seine Schüler geschlagen hatte. Wir berichteten von unserer Arbeit rund um die Welt und über die Zentren, die ich damals, als die Chinesen noch keinen Karmapa-Kandidaten als Geisel hielten, sofort unter Karmapa stellte. Ich erklärte, wie ich die Wogen in Los Angeles geglättet hatte, und dankte ihm wieder für seinen unterstützenden Brief von 1986. Er hatte ihn in Hongkong geschrieben, als wir gerade von der Winterfahrt durch Tibet zurückgekehrt waren. Seine Worte behoben Unklarheiten, die durch einen eifersüchtigen französischen Übersetzer und eine offenbar in mich verliebte weiß gekleidete Dame entstanden waren. In dem Schloss nahe Bonn hatten sie 1984 den Eindruck entstehen lassen, dass Kalu Rinpoche meine Arbeit nicht gefiel. Voller Freundschaft und Anerkennung hatte dieser Brief bestätigt, dass sein Segen hinter Hannahs und meiner Arbeit stand. Er hatte die Leute in Mitteleuropa gebeten, unter meiner Leitung zu praktizieren.
Außer drei Vorträgen an der Stupa wollte ich jeden Augenblick verwenden, um langfristig so vielen Menschen wie möglich zu nutzen. Die Zeit war gekommen, das zu schreiben, was nur wir konnten: die Geschichte unserer Linie im Westen – also dieses Buch. So wollte ich der Wiederholung von Fehlern vorbeugen und das hervorheben, was Frische und Entwicklung bringt. Lieb wie immer lud mich Rinpoche ein, mit seinen Übersetzern zu wohnen und auf seine Rechnung zu essen, und Beru Khyentse Rinpoches Diener ließen Tomek und andere zugereiste Freunde billig im Kloster wohnen.
Tagsüber sparte Kalu Rinpoche seine Kräfte, indem er im Bett ruhte. Seine Leute sagten, er wolle einfach so lange leben, bis er die Übersetzung des wichtigen Werks beendet sah. Jetzt lobte er nicht mehr bei jeder
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