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Über Alle Grenzen

Über Alle Grenzen

Titel: Über Alle Grenzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lama Ole Nydahl
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Feind machen müssen.

    Mit Karmapa in Scheibbs

    Das nächste Ziel war wieder Rikon mit den Exil-Tibetern. Unsere gediegenen Stadtzentren, die heute soviel Gutes bringen, sollten erst noch entstehen. Die Baader-Meinhof-Bande hatte gerade eine Stütze der Gesellschaft umgebracht - es war wohl Herr Ponto -, daher waren die Grenzen zu. Also fuhren wir einen Grenzübergang nach dem anderen in westlicher Richtung an. Unterdessen sorgte Karmapa dafür, dass es nicht langweilig wurde. Während ich mit voller Geschwindigkeit auf eine unbeleuchtete Straßengabelung zufuhr, schüttete er zwei kleine Häufchen braunes Pulver auf seinen Handrücken und gab sie mir zum Schnupfen. Völlig unvorbereitet ergriffen zwei eiskalte Hände mein Hirn. Mit quietschenden Reifen schlug ich den falschen Weg ein, und als ich anhielt, um zu untersuchen, wie viel von meinem Kopf noch vorhanden war, schüttelte es Karmapa vor Lachen. Das war der indische Schnupftabak, den auch Kalu Rinpoche verwendete, und der wohl aus Dynamit und gemahlenen Boxhandschuhen hergestellt ist.
    Das Verhalten der bayerischen und schwäbischen Bauern gegenüber Karmapa erstaunte mich. Wenn wir anhielten, um nach dem Weg zu fragen, spürten sie einfach seine Kraft. Viele verließen Bier und Zigaretten und kamen, um seinen Segen zu empfangen. Ihr Vertrauen war ungekünstelt und unmittelbar. Obwohl ein kräftiger gelber Herr in roten Roben für sie sicherlich etwas Neues war, ließ seine Wärme alles Trennende schmelzen. Karmapa sagte dabei wie so oft, wie sehr ihm Mitteleuropa am Herzen läge. Nach vier oder fünf Versuchen kamen wir frühmorgens an einem Grenzübergang durch. Schnell die verschlafenen schweizerischen Dörfer durchfahrend, kamen wir bei Rikon an, wo die Tibeter mit roten Augen herumsaßen; sie hatten die ganze Nacht über gewartet.
    In der Schweiz konnte sich Karmapa zu der Zeit leider nur der Tibeter annehmen. Er blieb zwei Tage bei ihnen, diesmal ohne einen Sturm zu verursachen. Einige reiche Gönner kamen, die jedoch mehr von der Fremdartigkeit als von der Nützlichkeit des tibetischen Buddhismus angezogen waren. Das Tote dem Lebendigen vorziehend, schätzten sie den Buddhismus als eine erleuchtete Heilslehre in Asien hoch, obwohl es dort längerfristig kaum Überlebensmöglichkeiten dafür gibt. Sie verschlossen aber ihre Herzen und Geldbeutel unseren Freunden gegenüber, die ihre Jugend und Kraft hergaben, um das Beste dieser Lehre in die Länder zu bringen, in denen sie gebraucht wurde und wachsen konnte. Selbst die idealistischsten und am besten ausgebildeten Westler waren ihnen nicht “kulturell” genug. Das Verständnis, dass eine erleuchtende Einsicht nur dann erhalten bleibt, wenn sie im täglichen Leben verwurzelt ist, entstand häufig nur in der humanistischen Mittelschicht, die über geringe Finanzkraft verfügt.

    Karmapa war bestimmt kein Snob. Wenn er zum Beispiel von Leuten eingeladen wurde, die nur von einer Berühmtheit Besuch erhalten oder ihren Besitz vorführen wollten, sagte er Dinge wie: “Diese Leute haben überhaupt keine Hingabe und noch dazu einen schlechten Geschmack. Sie laden mich nur ein, um ihren Freunden erzählen zu können, dass ich hier war.” Der arme Dolmetscher musste dann versuchen, das Gesicht in die richtigen Falten zu legen, während er übersetzte: “Seine Heiligkeit ist gerührt über euer tiefes Interesse für die Lehre, das Wichtigste von allem. Er findet euer Haus sehr schön und wird euch in seine Gebete einschließen.” Das letzte tat Karmapa natürlich immer, und sogar der oberflächlichste Kontakt mit ihm bewirkte Wunder. Jeden Tag geschahen mehrere davon, und man verstand, warum die Tibeter ihn “Wunschjuwel” nannten.
    Einmal flatterte in Los Angeles ein großer Scheck an unserer Nase vorbei. Der Erfinder irgendeines Kleinkrams wollte seine Bildung vorführen, indem er die Lamas zu einer japanischen Teezeremonie einlud. Nachdem er eine halbe Stunde lang winzige Tassen gewaschen und Wasser hin und her gegossen hatte, ohne dass irgendein Tee erschien, brachen die Lamas einer nach dem anderen vor Lachen zusammen. Sogar Karmapa musste seinen Schal über den Kopf ziehen. Die Gesichter der Gastgeber wurden merklich länger, und der Scheck wurde nicht unterschrieben. Aber was sollten wir tun? Nicht jeder versteht die hohe Kunst des Teekochens.

    Von Genf aus, dem letzten Halt in der Schweiz, ging die Fahrt wieder nach Frankreich. Diesmal fehlte Akong Tulku. Er hatte auch dort versucht, die

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