Über Alle Grenzen
auf, als wir in West-Berlin ankamen. Sogar die Luft schien dort anders zu sein.
In der geteilten Stadt wurde Karmapa zum Hippie-Guru. Die Kronzeremonie war von einem Freund, den ich einmal beim Trampen mitgenommen hatte, vorbereitet worden und fand im Türkenviertel Kreuzberg statt. Überall sah man Blumen und lange Haare. Karmapa war den Anwesenden gegenüber ganz offen, nahm ihr Lob entgegen und gab strahlend einigen Hundert Zuflucht. Dann forderte er öffentlich und mit Nachdruck, dass es weder Drogen noch Politik in unseren Zentren geben dürfe. Das war genau das Richtige für Berlin.
Karmapa beim Segnen in Berlin
Hannah fuhr die Gruppe von Frankfurt nach Wien, eine weitere wahre Reinigung für sie. Sie hatte einen peinlich schwachen Ford Transit bekommen, und Karmapa bat sie ständig, zu überholen und schneller zu fahren, was die “Rasenmäherausgabe” von Motor jedoch nicht schaffte.
Als Kurt und ich nach der Abendbelehrung in Wien ankamen, klingelte sofort das Telefon. Walli aus Hamburg hatte Neuigkeiten. Sie erzählte, dass Kalu Rinpoches reicher Gastgeber alle Norddeutschen zu einem Treffen eingeladen habe. Er besaß einen Brief, in dem Kalu Rinpoche ihn bat, ein Rime-Zentrum in seinem Haus einzurichten. Ich hatte Kalu Rinpoche bereits früher vor dieser Entwicklung gewarnt, und als der Gastgeber und seine Frau während Karmapas Besuch nicht erschienen - ein deutliches Zeichen von schlechtem Gewissen -, erfuhr ich es. Karmapa hatte Hamburg bewusst denselben Namen gegeben wie Kopenhagen, um die Zusammenarbeit zu stärken und meine Verantwortung zu betonen, also sprang ich sofort zu Karmapa und fragte, ob er wolle, dass seine Schüler jetzt geködert würden. Sollten sie ihre Bände zur Linie schwächen, um in einem schönen neuen Haus meditieren zu können? “Nein”, sagte Karmapa, “verhindere das!”
Die Autobahn war frei, und am nächsten Morgen kam ich gerade im richtigen Augenblick an. Unsere Freunde, die damals noch keinen Einblick in die Hintergründe tibetischer Politik hatten, waren mit bestem ökumenischem Eifer dabei, “Ja” zu sagen. “Karmapas Schüler nehmen nicht teil”, sagte ich. Ein kalter Wind ging durch den Raum. Kalu Rinpoches Gastgeber brausten auf, aber ich sagte: “Im Großen Weg kann man alles mischen, aber im Diamantweg nicht. Für euch Gelugpas bedeutet es nicht so viel, aber wir Kagyüpas müssen unsere Übertragung rein halten. Karmapas Schüler kommen mit mir in den nächsten Raum.” Nachdem sie ihr Nichtsektierertum schön verdaut hatten, erschien einer nach dem anderen. Sie kamen, weil ich ihr Lehrer war, aber es sollte noch eine Weile dauern, bis sie verstanden, was der damals so beliebte Ausdruck “Rime” oder “grenzenlos” wirklich bedeutet. Sein Sinn ist, bei den eigenen Übungen zu bleiben, während man sich über die Reichtümer anderer Schulen freut.
Die Schwingung in Scheibbs hatte sich seit Kalu Rinpoches Besuch nicht verbessert. Ich fühlte mich immer etwas verantwortlich für die Stelle die ich einige Jahre zuvor mit einem Kurs eröffnet hatte. Weil es ein von den alten Buddhisten geleitetes Zentrum war, sollte es auch dort gut laufen. Etwas fröhliche Kraft wurde gebraucht, und natürlich hob Karmapa ganz schnell alles auf eine befreite Ebene. An einem strahlenden Herbsttag gab er unter freiem Himmel eine Einweihung auf die Befreierin sowie eine Kronzeremonie und fegte damit die Störungen weg.
Mit einem großen Ford Granada der Firma Pitzner fuhr ich am nächsten Morgen Karmapa, Jamgön Kongtrul Rinpoche und ein paar Mönche nach München. Wir hatten diesmal keine Zeit, den Bus zu nehmen, denn Graf von Dürckheim, ein bekannter Zen-Lehrer, erwartete uns zusammen mit mehreren geistig Interessierten in einem riesengroßen Haus in Pasing. Anstatt mit den wenigen “Auserwählten” zu essen, führte ich das “Fußvolk” in Karmapas 16. Karmapa-Meditation ein. Damals entstanden in diesem Gebiet mehrere sowohl gute als auch schlechte Verbindungen. Ob ich im letzten Leben mit ihren Frauen und Pferden davon geritten war, kann ich nicht sagen; auf jeden Fall brachte die Gerüchteküche einiger eifersüchtiger Starnberger und Münchner für die nächsten Jahre etwas Extrawürze in mein Leben. Sonderbarerweise waren immer diejenigen am sauersten, denen ich geholfen hatte, als sie ganz unten waren. Hätten sie gewusst, wie vollkommen und lückenlos mein Verwirklicher-Geist peinliche Erinnerungen ausfiltert, hätten sie mich hinterher nicht zum
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