Über Alle Grenzen
zusammenhalte. Kurz danach sagten andere, Karmapa habe gerade tagelang und ohne Unterbrechung Einweihungen gegeben und sehe blendend aus. Wir mussten uns darüber nicht so viele Gedanken machen. Karmapa wusste, was er tat, und er hatte uns ja schon vor anderthalb Jahren den Monat und den Tag für das nächste Treffen mitgeteilt. Jede Stunde brachte ihn uns näher. Niels verschickte Einladungen an unsere Zentren, und am ersten Oktober flogen wir wieder mit 108 Freunden los.
Indien wurde seinem Ruf gerecht, und so fing die Reise mit allgemeinem Durchfall an. Die Felshöhlen auf dem Bergrücken bei Tsok Pema hatten nichts an Kraft verloren, und die Schilfinseln bewegten sich wieder zu uns hinüber. Auch wir trugen gerne etwas zu den guten Schwingungen der Stelle bei. Wir durchtrennten die Leitungen zu den Lautsprechern, die seit neuestem hinduistischen Lärm über den sonst stillen See verbreiteten. Ich fragte mich ernsthaft und wie so oft, wann wohl die Buddhisten im Osten den Mut entwickeln würden, so etwas selbst zu schaffen.
Die Gruppe erholte sich ein paar Tage im “Tourist Camp”, der wohl besten Unterkunft Delhis zu dieser Zeit. Wir hörten, dass Karmapa im Krankenhaus in Hongkong sei, dass er aber lache und stark und gesund gewirkt habe, als er Rumtek verließ.
Pilgerfahrt
Nach dem Besuch des Taj Mahal im Mondlicht - Niels war wieder unser Reiseleiter - sahen wir Sarnath, wo Buddha Shakyamuni die “Vier Edlen Wahrheiten” gelehrt hatte. Ein Professor im Ruhestand, den wir zum Spaß als Fremdenführer angeheuert hatten, vermittelte uns unerwartete Einsichten: Buddha sei als Hindu geboren worden und auch so gestorben. Er hätte mit seinen Freunden lediglich Sarnath auf einer Pilgerfahrt zu einigen Hindu-Heiligtümern besucht.
Dann folgte der Besuch von Rajgir, wo Buddha das Mitgefühl und die Weisheit seiner Schüler erweckte, und wo die Überreste von Nalanda, einer uralten buddhistischen Universität noch zu sehen sind. Da die Wächter das Gatter nicht öffnen wollten, als wir kamen, stürmten unsere 108 großen Nordeuropäer diese Stelle wohl zum ersten Mal wieder seit 1.000 Jahren.
Wir erreichten Bodhgaya bei Vollmond. Wie früher wollten wir das Bewusste Sterben unter Buddhas Erleuchtungsbaum praktizieren. Mittlerweile hatten sie ein hohes Gitter um die Stupa errichtet, was uns wenig störte. Die Erleuchtungswege waren aber offenbar auch bürokratisch geworden: Als wir schon halb in den Reinen Ländern waren, sprang ein Mönch aus irgendeiner südlichen Schule herbei und wollte unsere Erlaubnis sehen, dort sitzen zu dürfen. Er war nervtötend und holte andere Mönche herbei. So hörten wir etwas schneller auf als geplant.
Der Bodhibaum
Am nächsten Tag sah das gute Volk in Bodhgaya Ungewöhnliches. Wir hoben den Wassergraben zu Beru Khyentse Rinpoches neuem Kloster aus. Unsere Europäer schafften in vier oder fünf Stunden, wofür dieselbe Anzahl Inder viele Tage oder Wochen gebraucht hätte, je nach Strenge der Aufsicht. Vor allem die Hacken waren ein Vergnügen. Sie waren fast nordeuropäisch schwer und hatten schön lange Stiele. Wie in den warmen Ländern schleppten unsere Frauen die Erde.
Mitten im Hieb brach plötzlich meine Sandale, in meinem Rücken riss etwas, und Hannah kam weinend aus Khyentse Rinpoches Zelt heraus. Sie sagte, dass Karmapa sicher sterben würde. Alle waren erschüttert, und obwohl unsere Schüler jung waren und nicht viel besaßen, sammelten sie sofort Geld, damit Hannah und ich nach Hongkong fliegen konnten. Noch bevor wir uns entschieden hatten, ob wir das Geld annehmen konnten, kam die nächste Nachricht: Karmapa war weiter nach Amerika geflogen worden.
Mitten im Hieb
Er war irgendwo in einem Krankenhaus. Es war offensichtlich, dass wir ihm nicht nachfahren sollten. Hannah hat immer noch Augenblicke, in denen sie bedauert, ihn nicht wieder gesehen zu haben. Ich weiß aber, dass die Dinge so geschahen, weil er uns fernhalten wollte. Es hätte ansonsten bestimmt meine Arbeit geschwächt. Das Bild, das ich von ihm habe und weitergebe, ist das des goldenen Buddhas grenzenloser Kraft, der alles geschehen lässt. Das öffnet unsere Leute mehr als die Vorstellung von einem kranken Heiligen.
Der goldene, unendlich kraftvolle Buddha
Der östliche Himalaya war unser nächstes Ziel. Wir fuhren weiter nach Darjeeling und gingen in Lhawangs Bellevue-Hotel. Wie üblich gab es kein Sikkim-Visum aus Delhi, obwohl die Inder es versprochen hatten, nachdem wir alle 108
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