Über Alle Grenzen
Karmapas in Tibet, in die Luft zu sprengen. Diese fünfstöckige Statue war vom 2. Karmapa, dem berühmten Karma Pakshi (1206-1283), mit Hilfe der Geschenke des chinesischen Kaisers gebaut worden. Wie die Zerstörung ablief, hatten wir bereits von Jamgön Kongtrul Rinpoche erfahren. Während alle früheren Dynamitladungen nach außen explodiert waren, ohne die Statue zu beschädigen, war nun das Dynamit zwischen Rollbilder und andere gesegnete Sachen unter die Statue gelegt worden. Mit einem riesigen Knall war der Kupferbuddha weit über das Tal verstreut worden. Das Herz des ersten Karmapas, Düsum Tschenpa, war aus der Mitte der Statue heraus gefallen und von Tibetern schnell versteckt worden. Ein kleiner Teil davon ist heute in meinem Gau.
Karm Pakshi, der 2. Karmapa
Eine weitere Vorhersage war, dass es den Kagyüpas zwischen dem 16. und 17. Karmapa so ergehen würde wie den kraftlosen Bienen im Herbst; dass die Maschinen der feindlichen Barbaren aus dem Osten in den Himmel fliegen würden und ein Schützer aus dem Westen käme, wild im Ausdruck, gebräunt und mit Sommersprossen im Gesicht, um beim Wiederaufbau Tsurphus zu helfen. “Ich glaube, das bin ich”, kam es etwas unbescheiden aus meinem Mund. Jamgön Kongtrul Rinpoche nickte und antwortete: “Das glauben wir auch.” Von da an war es nur eine Frage der Zeit, bis vierzig Leute aus unseren Gruppen in Tibet Steine und Holz schleppten. Erst als das Land nach einigen Aufständen nicht mehr frei zu besuchen war, hörten wir Näheres: Dieser Schützer wäre klein, was ja nicht zu mir passt, die Sommersprossen seien Warzen, und den “Karmapa Papers” zufolge, die 1992 erschienen, war er nach dem Tod des 15. Karmapa im Jahr 1922 in Karma Gön in Osttibet tätig gewesen.
Nach den Einweihungen sollten eine Woche lang Dankzeremonien stattfinden, bei denen Kalu Rinpoche uns gerne dabeigehabt hätte. Eigentlich wünschte er auch, dass wir hinterher eine Pilgerreise für seine Schüler leiteten. Ich konnte aber keine Stunde lang stillsitzen, nachdem die letzte Einweihung gegeben war. Europa brannte. Ich musste nach Hause und alles wieder in den Griff bekommen. Es galt jetzt, Karmapas Gebiet gegen Unterwanderungen abzusichern und seine Zentren und Schüler zu schützen. Als Verantwortliche für seine Arbeit im Westen mussten wir wieder ein paar Herren aufhalten, die versuchten, von Karmapas Kuchen Stücke abzuschneiden. Wir dankten also Kalu Rinpoche aus ganzem Herzen, und er ließ uns gehen.
Beim Abschied der drei übrigen Linienhalter erwarteten wir ein paar Erklärungen zu der anstehenden Aufräumarbeit, damit sie in ihrem Sinne geschehe. Sie bedauerten aber, öffentlich keine Stellung beziehen zu dürfen. Wir fanden das schlapp und sagten, dass das viele Freunde und viel Vertrauen kosten würde. Es sei nicht leicht, einen Lama abzusetzen, den wir eben erst aufgebaut hatten. So verfasste Situpa, den wir seit 1976 in Ladakh kaum gesehen hatten und den man seinem Stil nach kaum wieder erkannte, eine milde Aufforderung, dass die “deutschen Schüler” auf uns hören sollten. Es hatte sich also am tibetischen Stil nichts geändert, und es blieb wie üblich in den warmen Ländern: Der Starke kämpft allein, und wenn er gewonnen hat, lobt ihn jeder.
Als wir in Frankfurt landeten, hatte Mitteleuropa schon einige Aufregungen hinter sich. Man sah es unseren Freunden an, die am Flughafen warteten und sofort von den Auswirkungen der Gerüchte berichteten. Wir machten ihnen die östlichen Feinheiten der Geschichte klar und beschrieben das letzte halbe Jahr im Himalaya. Danach fuhren wir allein zu dem Schloss bei Bonn, wo die Mitglieder des deutschen Vereins warteten. Fast alle waren frühere Schüler, mit denen wir einfach rechneten, obwohl wir uns nur noch selten sahen und ich ab und zu Sonderbares über sie hörte. Ich hatte wie so oft im Leben vergessen, wie Macht und Eifersucht Menschen beeinflussen können, und war erstaunt zu sehen, dass sie in jeder nur möglichen Weise die Stellung unserer Linie im Voraus geschwächt hatten. Auch wenn es meinem einfachen Geist einleuchtete, die Verwaltungsarbeit den Langweilern zu überlassen, war die Rechnung nicht aufgegangen. Offenbar musste man bei jeder Beschäftigung mit sich selbst zufrieden sein, um anderen nutzen zu können.
Erst hatte ein Starnberger Psychologe einen wenig schmeichelhaften Brief über mich an alle Zentren verschickt. Er wurde sowohl von der Vereinsvorsitzenden als auch von dem Mönch, der das
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