Über Alle Grenzen
Reliquien der Linie umgeben, stand sie hinter einer Glastür neben Karmapas Schwarzer Krone. Trotz der Kraft dieser Stelle konnte ich wegen einer schweren Grippe kaum wach bleiben. Während der Stunden in dem Kraftfeld, dem wir unser Leben gewidmet hatten, musste ich mich ständig kneifen. Das beeinflusste aber keineswegs den Segen: Als wir am nächsten Morgen mit Gyaltsab und Jamgön Kongtrul Rinpoche im Jeep davonfuhren, hing die Stupa mit Karmapas Herz immer noch vor mir im Raum. Wohin ich auch ging und wie ergreifend weitere Einweihungen auch waren, es hat mich nie verlassen. Der Segen vom Herzen des Lehrers ist die letztendliche Kagyüpa-Übertragung. Jenseits aller Worte und Vorstellungen ermöglicht diese Kraft ein sehr schnelles Wachstum.
Karmapas Herzstupa
Kurz vor Künzig Shamarpas Abfahrt, der unter diesen Bedingungen die restlichen Einweihungen nicht mit den anderen gemeinsam nehmen konnte, kam Jamgön Kongtrul Rinpoche auf die Idee, einen Titel für mich zu finden. Bevor die politischen Gegensätze entstanden, war davon nie die Rede gewesen. In den lockeren 70er Jahren war es ausreichend, dass ich außer einem schwierigen Schloss bei Bonn alle Zentren östlich des Rheins aufgebaut hatte. Viele waren sowieso befreundet, und wir luden gemeinsam Lehrer, für die Hannah übersetzte, in unsere Zentren ein. Als wir trotz des Wachstums nicht abhoben und jedem unsere Angebote offen standen, kamen natürlich auch engstirnige Geister in unsere Gruppen. Sie nahmen dann Anstoß an meinem Fahr- und Lebensstil, den vielen Freundinnen und vor allem daran, dass ich mich nie schwach zeige.
Ein hoch klingender Titel würde nicht nur unsere Seite politisch stärken. Es wäre zugleich eine wirksame Abschreckung für eifersüchtige Kleingeister, die meistens von so etwas begeistert sind. Der Titel würde unseren Rinpoches außerdem Zeit sparen und sie davor schützen, sich Beschwerden anhören zu müssen.
Das einfachste wäre gewesen, mich meiner Arbeit entsprechend einfach “Lama” zu nennen, wie Karmapa es getan hatte. Dies war jedoch damals wegen Kalu Rinpoche nicht möglich. Viele seiner Lamas waren zu der Zeit kurz davor, aus ihren Roben zu steigen, und er musste ihnen gegenüber ein Druckmittel behalten. Lama war und blieb für ihn, wer im Zölibat lebte, zumindest nach außen hin. Die Schwierigkeit lag darin, dass es für meine Arbeit keinen tibetischen Begriff gab. Der tibetische Buddhismus dehnte sich zum ersten Mal seit tausend Jahren gebietsmäßig aus und begegnete der Welt. Was ihn jetzt im Westen wachsen ließ, hatten wir selbst geschaffen. Die geleiteten Meditationen in den Landessprachen waren eine Neuschöpfung, und dass ich ausgesuchte Freunde unterrichten ließ, die während des Lehrens lernten, war auch neu. Eine solche “Graswurzelbewegung”, die nicht auf eine Rangfolge, sondern auf Freundschaft und die tiefe Hingabe zu Karmapa vertraut, hatte es vorher nicht gegeben. Zunächst versuchte Shamarpa es mit “Kyorpön”, “Reisender Lehrer”, was aber nur den erhaltenden Teil der Arbeit abdeckte. Erst eines späten Abends, als wir bei der bhutanesischen Königsmutter in ihrer Residenz in Darjeeling saßen, fand er den Titel, der Verantwortung beinhaltet und zugleich Raum für eine ungewöhnliche Arbeitsweise lässt. Mit einem breiten Lächeln sagte er: “Du wirst unser ‘Buddhistischer Meister’ sein.”
Das hatte eine große Bedeutung für die Zukunft. Mit einem Schlag waren unsere starken und lebenserfahrenen Freunde über meine Anerkennung “innerhalb”. Unsere Laien- und Verwirklicherarbeit, die auf westlicher Grundlage entstanden war, wurde damit als ein Weg der Linie anerkannt. Vor allem war meine Ernennung zum Mahamudralehrer wichtig. Sie wertete unsere gemeinsame Ebene auf. Es war ein geschichtsträchtiger Augenblick, als ich das Dokument mit Künzig Shamarpas Unterschrift und Jamgön Kongtrul Rinpoches Siegel in der Hand hielt; wir waren jetzt näher zusammen als je zuvor.
An einem der letzten Tage in Sonada wurde der Samen für die späteren Tibetreisen gepflanzt. Jamgön Kongtrul Rinpoche und Hannah übersetzten fast in jeder Mittagspause einige Prophezeiungen des 5. Karmapa Deshin Shegpa (1385-1415). Eines Tages, als ich gerade zu den beiden in den Raum trat, wurde es sehr spannend. Erst wurde der Name eines Tibeters vorausgesagt. Er hatte 1966, während Maos Kulturrevolution, krank vor Angst ein Mittel erfunden, um den riesigen Kupferbuddha in Tsurphu, dem Hauptsitz
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