Über Bord
Bett.
5
Ein ehemaliger Schulfreund von Matthias war leitender Laborarzt. Man hatte sich zwar ein wenig aus den Augen verloren, aber das war kein Grund, ihn nicht um eine Auskunft zu bitten. Natürlich mache er auch Gentests, versicherte der Arzt, neugierig geworden. Ob Matthias Ärger mit dem Jugendamt habe?
Es handele sich nicht um einen Vaterschaftstest, die Sache sei etwas komplizierter, erklärte Matthias, es gehe vielmehr um die Fragestellung, ob er einen Halbbruder habe.
Das dauere zwar etwas länger und werde teurer, sagte der Fachmann, sei aber durchaus möglich. Aus dem Ergebnis könne man mit großer Wahrscheinlichkeit ableiten, ob es sich um Halbgeschwister handele oder keine Verwandtschaft bestehe. Matthias sollte nach Absprache mit Gerd einen gemeinsamen Termin vereinbaren.
Wenige Tage später waren die beiden im Auto unterwegs, um sich beim DNA -Labor Proben der Mundschleimhaut entnehmen zu lassen.
»Du kennst Amalia doch sicher ganz gut«, begann Gerd. »Was hältst du von ihr?«
»So gut kenne ich meine Nichte auch wieder nicht; unsere eigene Tochter ist ein gutes Stück älter und hat sich nie für ihre kleinen Cousinen interessiert«, sagte Matthias. »Ich bin der Erstgeborene in unserer Familie, Ellen ist das Nesthäkchen und ganze elf Jahre jünger als ich. Als Kinder haben wir kaum miteinander gespielt, ich habe sie die Pest genannt, sie hielt mich für einen arroganten Schnösel. – Ihre Tochter Amalia ist ein hübsches Mädchen, mehr kann ich nicht sagen.«
»Ich frage deshalb, weil mir Amalia neulich einen Brief mit ihrer eigenen Speichelprobe geschickt hat«, sagte Gerd. »Spaßeshalber habe ich die Box heute mitgenommen, denn ich bin der festen Meinung, unsere Schöne will mich hinters Licht führen.«
Auch Matthias hielt das für wahrscheinlich. Im Übrigen gefiel ihm die Idee, Amalias Probe ebenfalls unter die Lupe nehmen zu lassen. Vielleicht konnte er seiner Schwester Ellen beweisen, dass auch ihre Tochter durchtrieben und kein Unschuldsengel war. Aber ob es überhaupt möglich war, einen Abstrich – ohne die erforderlichen Personalien – zu untersuchen und mit den anderen abzugleichen?
Der Arzt ließ sich von Matthias den Fall Amalia erklären und lächelte ein wenig. »Technisch ist das kein Problem, aber ein Gutachten kriegst du nicht von mir, und vor Gericht kann man das Resultat schon gar nicht verwerten. Weil du es bist, nehme ich für die dritte Probe keine Gebühren.«
Auf dem Heimweg rieben sich die Brüder schon im Voraus schadenfroh die Hände.
»Da wird Ellen aber Augen machen, wenn der Abstrich ihrer braven Tochter von einer völlig anderen Person stammt«, sagte Matthias.
»Es sei denn, Ellen steckt selbst dahinter«, meinte Gerd.
Noch am gleichen Abend rief Matthias seine Schwester an und erzählte, dass Gerd und er Speichelproben für einen Gentest abgegeben hatten. Ellen hatte sich inzwischen mit der Möglichkeit eines neuen Bruders abgefunden und reagierte relativ gelassen. »Wenn’s denn deinem Seelenfrieden dient«, meinte sie nur.
Nach diesem Gespräch hatte Matthias das Gefühl, dass Ellen nichts von der eigenmächtigen Tat ihrer Tochter Amalia wusste.
Wegen des schlechten Wetters verbrachte Amalia wohl oder übel das halbe Wochenende mit ihrem Freund im Bett. Uwes Zimmer, in dem sich hauptsächlich Ersatzteile, Kabel und technisches Material angehäuft hatten, gefiel Amalia überhaupt nicht. Immer wieder überlegte sie, wie man es mit geringen Kosten, dafür aber viel Phantasie etwas aufpeppen könnte. Sie fühlte sich einfach nicht wohl hier, auch weil sie Uwes Vater nicht ausstehen konnte. Sobald das Paar in Uwes Zimmer verschwand, pflegte er in unverblümter Anzüglichkeit hinter ihnen herzubrüllen: »Uffpasse!«
Das Wohnzimmer, in dem Uwes Papa den Feierabend verbrachte, war ein Gesamtkunstwerk. Auf dem Sofa saßen hässlich glotzende Puppen aus den fünfziger Jahren und zwischen den gehäkelten Kissen konnte man kaum einen Sitzplatz finden. An den Wänden hingen zwei Thermometer, Dürers Hase, bemalte Holzteller, Hufeisen, gerahmte Trockenblumen, ausgeblasene Ostereier, schmiedeeiserne Kreuze, ein Wandteppich aus Lourdes und unsäglich viele Kitschpostkarten. Da Uwes Mutter schon vor vier Jahren gestorben war, hatte seitdem wohl niemand mehr Staub gewischt, so dass Amalia einen Niesanfall nach dem anderen bekam. Und egal, was sie den Alten auch fragte, er pflegte immer nur »Es kimmt druff aa…« zu antworten.
Um dem Scheusal heute
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