Über Bord
so gut, sich mal einen Moment auszuruhen. Könntest du so nett sein, und mir einen Eiskaffee bringen?«
Jetzt war es Ellen, die – allerdings nur leise – seufzte.
12
Obwohl er tief verletzt war, ließ es sich Uwe nicht nehmen, Amalia und Ellen zum Frankfurter Flughafen zu fahren. Nicht nur, dass seine Freundin ohne ihn verreisen wollte, die ganze Idee mit der geschenkten Kreuzfahrt war ihm ein Dorn im Auge. Unterwegs versuchte Ellen aus Höflichkeit, sich ein wenig mit ihm zu unterhalten, aber vergeblich – er ließ demonstrativ eine uralte CD auf voller Lautstärke laufen. Es war ein Lied, das Amalia nicht ausstehen konnte: Die Dinosaurier werden immer trauriger. Schade, dachte Ellen, dass er so gekränkt ist und meine Mutter ihn nicht mag; es wäre doch praktisch gewesen, wenn Uwe hin und wieder nach Hildegard geschaut hätte, für ihn ist das nur ein Katzensprung, und er hat sowieso nicht viel zu tun. Gern hätte sie dem schweigsamen Fahrer wenigstens das Benzingeld erstattet, aber sie wollte seinen Stolz nicht noch mehr verletzen. Wir sollten unterwegs nach einem schönen Mitbringsel Ausschau halten, beschloss sie. Ihre Mutter hatte ihr netterweise schnell noch 200 Euro zugesteckt, die sie weiß Gott für welchen Zweck zusammengespart hatte. »Für Nebenkosten, damit du dich nicht aushalten lassen musst.«
Am Terminal angekommen, suchte Uwe zwar noch nach einer Parklücke, half auch beim Abladen der Koffer, verließ aber die beiden Frauen, ohne sie in die Halle zu begleiten. Amalia hatte ein schlechtes Gewissen, wollte ihren Freund wenigstens noch einmal umarmen, aber er stieg sofort wieder in seinen zerbeulten Wagen, gab Gas und nur ein kurzes Tschüs von sich.
Kurz danach stand Ellen vor der großen Abflugtafel und studierte etwas hilflos die Anzeigen mit zahlreichen Verspätungen. Das letzte Mal war sie vor zwanzig Jahren mit Mann und Töchtern nach Spanien geflogen, sie hatte wenig Erfahrung und war froh, als Gerd und Ortrud vor ihr auftauchten. Man begrüßte sich, Gerd stellte Amalia seiner Frau vor und sagte: »Beinahe wäre sie unsere Nichte, schade, nicht wahr?«
Mit einem Blick auf den vollen Gepäckwagen meinte Ortrud: »Offenbar habt ihr noch keine Boarding Card. Wenn ihr fertig seid, können wir ja noch einen Prosecco bei Harrods zusammen trinken.«
Sie bestimmt anscheinend, wo’s langgeht, dachte Ellen enttäuscht. Eigentlich hatte sie gehofft, dass man ihr mit dem elektronischen Ticket und beim Check-in ein wenig helfen würde.
»Seht mal die dort!«, sagte Gerd. »Ist das nicht wie ein Woody-Allen-Film?« Er wies mit einer kurzen Kopfbewegung auf eine Gruppe orthodoxer Juden, die alle die Kippa auf dem Kopf und ein noch aufgeblasenes lila Nackenhörnchen um den Hals hatten und in großer Eile von Halle A nach B strebten. Ellen gaffte mit offenem Mund und kam sich wie ein Landei vor. Verlegen wandte sie sich wieder Gerd und seiner Frau zu. Ortrud trug für die Reise eine leichte Leinenjacke, bequeme helle Hosen und lederne Sneakers. Bis auf den schwarzgemusterten Schal alles in Rentnerbeige. Da kommen wir durchaus noch mit, dachte Ellen erleichtert und reihte sich nun endlich in die Warteschlange ein. Als sie ihren Reisepass herauskramte, überfiel sie doch noch ein Gefühl grenzenloser Unterlegenheit, denn an eine schicke Handtasche hatte sie nicht gedacht. Das schwarze Leder ihrer Tasche war völlig abgegriffen, der Reißverschluss klemmte. Amalia trug Katjas knallroten Rucksack, den sie lässig über eine Schulter gehängt hatte.
Im Flugzeug mussten Ellen und Amalia an Gerd und Ortrud vorbeiziehen, denn sie hatten ihre Plätze im hintersten Bereich. Natürlich schielte Ellen auf die jeweilige Lektüre des Paares – er las die Süddeutsche, sie eine Hochglanzillustrierte, in der es offenbar um Haus und Garten ging. Na klar, die ist schließlich Innenarchitektin, dachte Ellen, ich muss das Amalia stecken. Vielleicht gibt es für sie noch eine Chance, auf einen halbwegs künstlerischen Beruf umzusteigen. Dabei fiel ihr ein, wie Amalia bereits als Kind ihr Zimmer mit originellen Ideen verschönert hatte. Im Winter hatte sie ein hohes Fenster mit blauer Deckfarbe angestrichen und mit zerzupften Wattebällchen beklebt, so dass sich der graue Tag in einen Sommermorgen verwandelte.
Ellen hatte Amalia den Fensterplatz abgetreten, wobei sich diese Großzügigkeit nicht auszahlte, denn ihre undankbare Tochter schlief bald ein. Lustlos las Ellen die Überschriften der Bildzeitung, die ihr
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