Über Bord
gemacht. Zufrieden legte sie sich ins Bett, sie hatte Urlaub und konnte sich den Luxus einer Siesta leisten. Heute Abend wollte sie sich schick machen und den schwingenden schwarzen Stufenrock ihrer Schwägerin tragen, dazu eine altrosa Seidenjacke, die aufwendig mit einem Pailettenband besetzt war. Gerd sollte sie voller Bewunderung betrachten, und zwar nicht als Beinahe-Halbschwester und Reisekumpel, sondern als schöne Frau. Mit seiner eigenen stand er offenbar auf Kriegsfuß, aber man wusste bei Paaren ja nie, ob das ein Dauerzustand oder nur eine Gewitterwolke war. Ob Matthias seinem neuen Bruder viel über sie erzählt hatte? Am Ende auch von ihrer gescheiterten Ehe? Wohl kaum, denn er würde nur ungern das Gespräch auf die unrühmliche Rolle seiner Tochter bringen.
Amalia soll mir nachher die Haare machen, war ihr letzter Gedanke, bevor sie einschlief.
13
Als Ellen aufwachte, war es bereits vier Uhr nachmittags. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie sich befand, dann sprang sie mit einem Satz aus dem Bett, zog sich Jeans und einen rotweiß geringelten Baumwollpullover an und ging auf die Suche nach den Dornfelds und Amalia.
Nahe am Pool saßen ihre Tochter und Ortrud an einem Bistrotischchen, wo sie die wenigen Schwimmer gut im Blick hatten.
»Hallo, Mama!«, rief Amalia, »das musst du dir unbedingt auch bestellen!«
Vor ihr stand ein appetitliches Stillleben: eine dicke, frisch gebackene Waffel, eingemachte Kirschen, Vanilleeis, Schlagsahne sowie ein Becher Kakao. Ortrud trank Campari Orange. Ellen setzte sich zu ihnen, ließ sich einen Café Crème bringen und naschte ein wenig von den Köstlichkeiten ihrer Tochter.
»Und wo ist Gerd?«, fragte sie.
Ortrud wusste es nicht genau, wahrscheinlich in der Bibliothek, meinte sie. Ellen hatte große Lust, sich mit ihrer Tasse in der Hand dorthin zu begeben, aber es erschien ihr doch zu aufdringlich. Immer noch hatte sie das Gebot ihrer Mutter im Ohr: Man läuft keinem Mann hinterher.
»Deine Tochter scheint sich sehr für meinen Beruf zu interessieren«, sagte Ortrud. »Ich könnte ihr stundenlang erzählen, wie man für andere Leute Möbel aussucht.«
»Ich höre dir auch gern zu«, sagte Ellen etwas gedehnt, Amalia schien dagegen Feuer und Flamme zu sein.
»Die meisten machen sich falsche Vorstellungen von unserer Arbeit. Der Traum eines jeden Innenarchitekten ist es natürlich, einem stinkreichen Kunden die Wohnung einzurichten, der nur die große Linie vorgibt – avantgardistisch, repräsentativ, kreativ oder verrückt –, ansonsten hat man freie Hand. In Amerika soll es angeblich noch neureiche Fabrikanten und ordinäre Filmstars geben, die unseren Traum Wirklichkeit werden lassen. Falls es solche Kundschaft in Mitteleuropa gibt, dann ist es unwahrscheinlich, dass gerade ich einen solchen Auftrag an Land ziehe. Ganz abgesehen davon – meine Kragenweite sind sie natürlich nicht, diese Menschen ohne eigenen Geschmack. Und mir gefallen individuelle und sogar leicht kitschige Einrichtungen erheblich besser als ein nachgeäffter modischer Trend.«
Anscheinend imponierten Amalia ihre Worte, sie blickte fast andächtig zu Ortrud auf. Ihre Mutter hörte nur mit halbem Ohr hin, musterte dagegen mit kritischem Blick die rasierten Beine ihres Gegenübers. Zu knochig und zu käsig, stellte sie fest, Ortrud sollte lieber keine Bermudas tragen.
»Eigentlich brauche ich noch einen Drink«, sagte Ortrud, »aber in diesem Punkt ist mein lieber Gerd ein bisschen spießig, er darf mich nicht erwischen. – Also, wo war ich stehengeblieben?«
»Wie hast du dir das nötige Know-how erworben?«, fragte Amalia. »Welche Ausbildung ist vorgeschrieben?«
»Als junge Frau arbeitete ich in einem Kölner Möbelhaus als Einkäuferin, außerdem habe ich die Schaufensterdekorationen entworfen, wurde gelegentlich auch bei schwierigen Kunden als Beraterin hinzugezogen. In dieser Eigenschaft hatte ich mitunter Gelegenheit, einem betuchten, aber blöden Käufer etwas aufzuschwatzen, was er weder brauchte noch mochte: asketisches Design oder prächtigen Landhausstil, unbequeme Stühle oder eine überflüssige Antiquität. Im Grunde sind wir Deutschen sowohl konservativ als auch latent unzufrieden – Möbel sollen zwar gemütlich und dauerhaft sein, aber auch etwas hermachen und sich durch einen höheren Preis von der Ausstattung unserer Bekannten abheben. In jungen Jahren war ich ein wenig durchtrieben. Heute würde ich niemals einem unsicheren Kandidaten meine
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