Über Boxen
Einführung der ledernen Boxhandschuhe (mehr um die Hände, weniger um das Gesicht zu schützen, denn die menschlichen Knöchel brechen leicht) und die Einführung des dritten Mannes im Ring, des Ringrichters, der das Recht hat, nach eigenem Gutdünken einen Kampf abzubrechen, wenn er den Eindruck hat, dass ein Boxer keinerlei Chance hat zu gewinnen oder sich gegen seinen Gegner nicht mehr verteidigen kann. Mit der Einführung des Ringrichters wurde aus der Noble Art , einer eher ungehobelten Schlägerei, der relativ zivilisierte Boxsport. Der «dritte Mann im Ring», ein Unbekannter zumindest für die Menge, wirkt auf die meisten Zuschauer ebenfalls wie ein Zuschauer, ja sogar wie ein Eindringling; er taucht auf wie aus dem Nichts, beweglich und schnellfüßig wie die Boxer selbst (tatsächlich sind Ringrichter oft ehemalige Boxer). Aber für das Drama «Boxen» ist der Ringrichter von zentraler Bedeutung. Zwei Männer, die sich in einem erhöhten Ring ohne Ringrichter bekämpfen würden, böten ein höllisches Schauspiel, sie wären eine Obszönität – keine Kunst könnte das mehr verhüllen, es wäre das Leben selbst. Erst der Ringrichter ermöglicht es uns überhaupt zuzuschauen.
Der Ringrichter steht vermittelnd zwischen uns und dem stattfindenden Kampf. Für die Dauer des Kampfes verkörpert er unser Gewissen, sodass wir uns ungestört von moralischen Bedenken dem Geschehen im Ring zuwenden können; und er ist das Gewissen der Boxer. (Als Carmen Basilio einmal gefragt wurde, ob Boxer jemals ein schlechtes Gewissen hätten, wenn sie ihre Gegner verletzen, antwortete er: «Ein schlechtes Gewissen? Machen Sie Witze? Boxer bedauern nichts.») Was nicht heißen will, dass Boxer überhaupt kein Gewissen haben: Es gibt große Unterschiede zwischen ihnen, und ihr Verhalten wechselt von Situation zu Situation. Aber es kommt vor, dass ein Boxer in den Seilen hängt und keine Möglichkeit hat, zu Boden zu gehen, während sein Gegner auf ihn einschlägt. Dann ist er in Lebensgefahr, wenn der Ringrichter nicht interveniert – denn sein Angreifer wurde darauf trainiert, eine Attacke nicht einzustellen, solange der andere sich noch auf den Beinen hält. In der außerordentlich schnell eskalierenden Intensität eines Boxkampfs bleibt nur der Ringrichter neutral und objektiv.
Abb. 1: Ringrichter Eddie Joseph zählt Billy Conn aus: In der 8. Runde seines Schwergewichtstitelkampfes gegen Joe Louis am 19. Juni 1946 im Yankee Stadium, New York, unterliegt Conn durch K . o.
Abb. 2: Jake LaMotta (links) und Sugar Ray Robinson kämpfen um den Weltmeistertitel im Mittelgewicht. Chicago, 14. Februar 1951.
Obwohl der Beruf eines Ringrichters sehr anspruchsvoll ist und es vermutlich nicht mehr als ein Dutzend wirklich erfahrener Ringrichter auf der Welt gibt, scheint es für einen Boxkampf unabdingbar zu sein, dass er außerhalb des dramatischen Geschehens bleibt: An die Namen von Ringrichtern erinnern sich nur alte Schlachtenbummler. Paradoxerweise ist seine Anwesenheit dennoch von entscheidender Bedeutung. Er hat keine Macht über das, was im Ring geschieht, aber bis zu einem gewissen Grad kann er bestimmen, ob es geschieht – er ist für den Kampf, wenn schon nicht für den einzelnen Boxer, verantwortlich. In einem Match, in dem Können überwiegt, das keine simple Schlägerei ist, mag die Rolle des Ringrichters formal sein, aber in einem Kampf, in dem es um alles geht, ist seine Wichtigkeit gar nicht hoch genug einzuschätzen. Der Ringrichter entscheidet manchmal über Leben und Tod, denn er kann einen Kampf beenden oder die Erlaubnis geben weiterzumachen, und damit besiegelt er in manchen Fällen das Schicksal eines Boxers. (Man muss dabei wissen, dass der gezielte Schlag eines Schwergewichtlers, hinter dem sein ganzes Körpergewicht steht, mit der Wucht von zirka fünf Tonnen auf den Kopf seines Gegners trifft – was ein Gehirn erst einmal verkraften muss.) Bei dem berüchtigten Kampf Benny Parets gegen Emile Griffith im März 1962 stand der Ringrichter Ruby Goldstein wie gelähmt dabei, als Griffith Paret in die Seile trieb und mehr als achtzehn Treffer gegen seinen Kopf landete. (Paret starb zehn Tage später.) Boxer werden darauf gedrillt, nicht aufzugeben. Wenn sie zu Boden gehen, versuchen sie, wieder hochzukommen und weiterzukämpfen, auch wenn sie sich kaum mehr verteidigen können. Die erste und wichtigste Regel des Rings – sich immer zu verteidigen – ist sowohl eine Parodie auf das Leben wie seine
Weitere Kostenlose Bücher