Über Boxen
charakteristischen Höhenflüge seiner metaphysischen Einbildungskraft, die uns in ihrer Schärfe wie eine Liebesklage im Ohr bleiben:
Werden sie [die Schwergewichtler] Weltmeister, entwickeln sie ein Innenleben wie Hemingway oder Dostojewskij, Tolstoi oder Faulkner, Joyce, Melville, Conrad, Lawrence oder Proust.[…] Dempsey war allein, Tunney konnte sich nicht verständlich machen, weder Sharkey noch Schmeling oder Braddock konnten an sich selbst glauben, Carnera war traurig, Baer ein unenträtselbarer Clown. Die großen Schwergewichtler wie Joe Louis trugen die Einsamkeit von Jahrhunderten in ihrem Schweigen, und Männer wie Marciano standen der Macht, die ihnen verliehen zu sein schien, ratlos gegenüber. Aber als die großen, modernen schwarzen Schwergewichtler kamen, Patterson, Liston, dann Clay und Frazier, musste diese Einsamkeit wohl dem weichen, vor dem sie sich eigentlich schützen wollten: einer über alle Maßen labilen surrealistischen Situation. Ein schwarzer Schwergewichtschampion in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu sein (während überall in der Welt die Schwarzen revoltierten), war ungefähr so, als wäre man Jack Johnson, Malcolm X und Frank Costello 20 in einer Person. 21
Es ist sicher kein Zufall, dass jedermanns Lieblingsbuch über das Boxen der Roman «Fat City» von Leonard Gardner ist. 22 Er handelt weniger vom Boxen selbst, mehr von den Strategien der Selbsttäuschung; eine Art Handbuch des Versagens, in dem Männer, die unfähig sind, das Leben zu begreifen, instinktiv vom Boxen angezogen werden. Die Boxer in Gardners Stockton – der wegen ihrer Kämpfe berüchtigten kalifornischen Stadt – scheinen in einer Welt zu leben, die so klaustrophobisch ist wie ein Trainingsstudio, in die nicht einmal der Schimmer eines Bewusstseins von dem dringt, was draußen vor sich geht: dass es zum Beispiel große Boxer gibt (wie Cassius Clay, der doch Zeitgenosse der Romanhelden ist), politische Ereignisse, ganz allgemein eine «Gesellschaft». «Fat City» ist die Kehrseite des amerikanischen Traums, die zeigt, wie Männer, die eine gewisse Begabung in einem gefährlichen Sport zeigen, für erbarmenswert wenig Geld engagiert werden, um zu kämpfen. Die Ironie des Romans besteht darin, dass sich ein Sieg, der mit einem so hohen Einsatz errungen wurde, von einer Niederlage kaum unterscheidet. Leonard Gardner scheint keine weiteren Romane veröffentlicht zu haben, aber seine Artikel über das Boxen, die in Zeitschriften wie «Sports Illustrated» und «Esquire» erschienen sind, sind Beweis seines erstaunlichen Talents, die Psychologie des Mannes, der zum Kämpfen geboren wurde, der nichts anderes als Kämpfen kennt, gleichgültig wie selbstmörderisch diese Berufung auch ist, gleichsam von innen her zu begreifen.
W . C. Heinz und Ted Hoagland 23 haben viel beachtete Romane über das Boxen geschrieben: «The Professional» und «The Circle Home» , wobei der Roman von Hoagland nicht gerade typisch ist. Er enthält keine einzige Kampfszene, nur Trainingsszenen, die allerdings mit einer hypnotisierenden kinetischen Präzision geschrieben sind. Budd Schulberg, Irwin Shaw, Nelson Algren, Ring Lardner, James Farrell, John O’Hara, Jack London – alle haben sie Geschichten über Boxer geschrieben, ernst zu nehmende, gute und weniger bedeutende. 24
Was man die Romantik des Boxens nennen könnte – und selbst das Schmutzige übt seinen Zauber aus, wenn man es filmt –, ist das Thema einiger Hollywoodfilme von ebenfalls verschiedenartiger Qualität. Der außergewöhnlichste ist Martin Scorseses preisgekrönter «Raging Bull» , in dem sich Robert De Niro nahezu buchstäblich in Jake LaMotta verwandelt. 25 Weitere erwähnenswerte Filme dieses Genres sind «Fat City» , «Champion» , «Somebody Up There Likes Me» , der auf der Autobiografie von Rocky Graziano basiert, «The Harder They Fall», «The Set-Up», «The Champ», «Body and Soul», «Requiem for a Heavyweight» und «The Great White Hope» – wobei die beiden letzten Filme auf erfolgreichen Theaterstücken basieren. 26 Und dann gibt es natürlich die «Rocky»-Filme, die zwar mit wirklichem Boxen wenig zu tun haben (so haben Rocky und seine Gegner im Schwergewicht zum Beispiel die Körper von Bodybuildern und nicht von Boxern, was lächerlich und verwirrend ist), aber als ikonografische Erfolgsgeschichten der Popkultur doch wirkungsvoll sind: in der Titelrolle Sylvester Stallone, «der italienische Hengst», ein
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