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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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manche Schriftsteller liegt die Faszination des Boxens, wie ich schon früher angedeutet habe, in der grellen und betonten Zurschaustellung von Masochismus – eines «Masochismus» im weitesten Sinn des Wortes, in einem vielsagenden, man könnte sagen: poetischen Sinn. Denn entgegen der allgemeinen Meinung geht es beim Boxen nicht darum zu verletzen, sondern vor allem darum, verletzt zu werden. (Was in den besten Filmen über das Boxen – «Raging Bull», «Fat City» und «Champion»  – höchst anschaulich zum Ausdruck kommt.) Durch den Schmerz hindurchzugehen und dann zu triumphieren – oder etwas zu erleben, was einem Triumph gleicht –, das hofft der Schriftsteller wie auch der Boxer. Der Moment des Schreckens, der die Eingeweide zerfleischt – zumindest ich erlebe ihn so –, ist in einem typischen Kampf der Moment, in dem einer der Boxer die Kontrolle verliert, seine Verteidigung nicht mehr aufrechterhalten kann, zu schwanken und zu stolpern beginnt, zurückweicht und unter den Schlägen seines Gegners, die er nicht mehr erwidern kann, hin- und her taumelt. Es ist der Moment, in dem der Kampf sich wendet, und er kann eine ganze Karriere, ein ganzes Leben beenden. Es ist kein isolierter Moment, sondern der Moment an sich  – mystisch, universal. Die Niederlage des einen ist der Triumph des anderen: Aber wir sind geneigt, diesen «Triumph» als etwas Vorübergehendes und Provisorisches zu sehen. Nur die Niederlage ist von Dauer.
    Früher träumte ich des Öfteren vom Boxen, von abstrakten, erfolglosen Kämpfen zwischen Traumgegnern, deren Gesichter ich nicht sehen konnte. Ich stellte mir Boxen wie eine Art Knoten vor, der fest und grausam in sich verschlungen war und gelöst werden sollte. Man kann ihn nicht lösen, und doch muss man. Man muss – aber man kann nicht. Wenn der erste Knoten gelöst ist, steht man schon vor dem nächsten, und nach diesem folgt wieder einer und wieder: Runden, Kämpfe, Karriere, «Leben». Der Unterschied für den Boxer ist der, dass Niederlage, Demütigung und Schande nur ein Teil dessen sind, was er riskiert – Verletzungen, sogar der Tod erwarten ihn ebenfalls. Man wird genauso für seine Fehler bestraft, wie Kafka sich vorstellte, dass man für seine Sünden bestraft werden könnte: Das Urteil wird ins Fleisch graviert, es tötet, noch während der Richtspruch verkündet wird.
    Im Stall unten ein leeres Viereck, Gesichter im Schein der
    Laterne, an drei Seiten weiße Gesichter, die schwarzen an der
    vierten, und in der Mitte kämpfen zwei von Sutpens wilden
    Negern, nackt, sie kämpfen nicht wie die Weißen, nach Regeln
    oder mit Waffen, sie kämpfen wie Neger, sie wollen verletzen,
    schnell und schlimm.
    William Faulkner in «Absalom, Absalom!» 28
    Vor einiger Zeit führte einer der Südstaaten eine neue Art der Todesstrafe ein. Giftgas sollte den Galgen ersetzen. Ganz zu Anfang hatte man in der versiegelten Todeszelle ein Mikrofon installiert, damit wissenschaftliche Beobachter hören konnten, was der sterbende Gefangene sagte … Das erste Opfer war ein junger Neger. Als die Giftkapsel in den Behälter fiel und das Gas aufstieg, kamen aus dem Lautsprecher die Worte: «Rette mich, Joe Louis. Rette mich, Joe Louis. Rette mich, Joe Louis …»
    Martin Luther King jr. 29
    Es ist hart, schwarz zu sein. Warst du je schwarz? Ich war es
    einmal – als ich arm war.
    Larry Holmes, ehemaliger WBC -Champion im Schwergewicht
    Der erste Eindruck des Zuschauers ist, dass professionelle Boxer, wenn sie kämpfen, aufeinander wütend sind, denn was sie tun, sieht nach Ärger, ja sogar nach Wut aus. Warum sollte man sonst eine andere Person schlagen, ja sogar versuchen, sie zu verletzen? Dieser anfängliche Eindruck täuscht natürlich – Boxen ist für die meisten Boxer «Arbeit», und Emotionen haben wenig damit zu tun, oder zumindest sollte das so sein. So haben sehr erfolgreiche Champions von Jack Dempsey bis Larry Holmes auch immer wieder betont, dass sie allein des Geldes wegen kämpfen. Motive anderer Art einzugestehen, hieße anzudeuten, dass der Machismo seine Schwachstellen hat.
    In einem tieferen Sinn jedoch sind Boxer voller Wut, was bereits eine nur oberflächliche Kenntnis ihres Lebens zeigt. Boxen hat auf ganz fundamentale Weise mit Wut zu tun. Es ist in der Tat der einzige Sport, in dem Wut ihren Platz findet, in dem sie geadelt ist. Es ist die einzige menschliche Tätigkeit, in der Wut ohne Umwege zu Kunst wird.
    Einige Zuschauer – unter

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