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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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liebenswerter tough guy , der ewige Underdog, der selbst an überwältigenden Hindernissen nicht scheitern kann. Der Boxer Rocky könnte einem Comic entstammen, seine Kämpfe sind von der gleichen Art wie die Heldentaten seines Zwillings Rambo, der vielleicht noch nachdrücklicher als Rocky die Faszination Amerikas durch den (männlichen) isolato verkörpert, dessen Beziehung zur Welt eine rein körperliche ist. Und doch ist es sicher nicht ohne Bedeutung, dass Stallones «Rocky» ein Boxer ist, eine Hommage an Rocky Marciano, den Champion im Schwergewicht, dessen Stil Stallone imitiert – wenigstens bis zu einem gewissen Grad.
    Boxberichte sind oft von hoher schriftstellerischer Qualität, und dabei ist ja Sportberichterstattung das schwierigste Genre, das es überhaupt gibt. Unter den heutigen Sportberichterstattern sind John Schulian (von den «Daily News» in Philadelphia) und Hugh McIlvanney (vom englischen «Observer») mit Abstand die besten, was die durchgehend hervorragende Qualität ihres Stils und die rigorose Fähigkeit zu analysieren anbelangt, mit der sie ihr Thema angehen. Nicht nur nach dem Was oder dem Wie , sondern tatsächlich auch nach dem Warum wird gefragt – warum gibt es Boxen, warum fasziniert es Männer (und einige Frauen), was lehrt es uns über die Menschheit? Schulians «Writers’ Fighters» und McIlvanneys «McIlvanney on Boxing» sind Sammlungen von Berichten, die über eine längere Zeit hinweg erschienen sind, und bemerkenswert ist die Einheitlichkeit der jeweiligen Sichtweise. Keiner der beiden Reporter geht sein Thema an, als ob es keine Überraschungen mehr böte, keiner drückt sich davor, die ambivalente Beziehung zwischen dem, der über das Boxen schreibt, und dem Boxen selbst, «dieser süßen Kunst zu verletzen», einer Prüfung zu unterziehen. Andere Sportarten provozieren andere Arten von Reaktionen, Boxen aber ist, hier wie auch sonst, ein besonderer Fall. In keinem anderen Sport ist die Beziehung zwischen dem, der den Sport ausübt, und dem, der zusieht, so intim, so oft schmerzlich und so ungeklärt.
    Dass kein anderer Sport eine solche theoretische Angst auslösen kann, sagt etwas über den innersten Kern der Faszination aus, die Boxen auf einen Schriftsteller ausübt. Diese Faszination hat zwar mit der Sache selbst zu tun; ihre Bedeutung für den Einzelnen ist jedoch veränderlich und schwer zu fassen wie ein verschwommenes Spiegelbild. Der Schriftsteller sieht im Boxer sein Gegenstück, das sich vollständig der Öffentlichkeit preisgibt, alles aufs Spiel setzt und, im Idealfall, aus reiner Intuition handelt: Ein Boxer erfährt seine Grenzen in einem Ausmaß, in dem sie kein Schriftsteller, kein Künstler je erfahren wird – denn wir, die wir schreiben, kennen uns nicht wirklich ganz, wir leben in einer kaleidoskopartigen Welt sich immer verschiebender Werte und Beurteilungen, und wir sind unfähig, mit endgültiger Sicherheit zu sagen, ob uns wahre Erleuchtung zu unseren höchsten Anstrengungen treibt oder eine Art sublimer Selbsttäuschung. Sieht man einmal von den Fällen inkompetenter oder voreingenommener Ringrichter ab – problematisch war zum Beispiel die Ringrichterentscheidung, die im April 1986 zum Sieg des Titelverteidigers Michael Spinks über Larry Holmes führte, oder der Sieg Ray Mancinis nach Punkten im ersten der beiden Kämpfe gegen Livingstone Bramble 27  –, abgesehen von solchen Fällen ist die Welt des Boxens nicht ambivalent: Es dauert nicht lange, bis einer seinen Wert im Vergleich zu anderen Boxern kennt. Er kann gar nicht anders. «Vielversprechende» Karrieren enden im Bruchteil von Sekunden; «Comebacks» erweisen sich als Fehler; ein junger und unbekannter Herausforderer (wie zum Beispiel «Lightning» Lonnie Smith in seinem Titelkampf gegen den Champion im Junior-Weltergewicht, Billy Costello) schafft in einem einzigen Kampf den Sprung an die Spitze. Marvin Haglers Sieg über John Mugabi war absolut eindeutig, ebenso Thomas Hearns’ Sieg über James Shuler oder der unerwartete Verlust des Bantamgewichtstitels an Gaby Canizales, den Richie Sandoval zu überstehen hatte und bei dem er, einigen Zuschauern zufolge, fast zu Tode kam. Dieses Gefühl eines Endes, einer Grenze, eines endgültigen und unanfechtbaren Urteils – in seinen größten Momenten ruft einem ein Boxkampf den blutigen fünften Akt der klassischen Tragödie ins Gedächtnis, in dem jenes mysteriöse Element, das wir Handlung nennen, zu seinem Schluss kommt.
    Für

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