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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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ihnen Männer – glauben, dass Boxer wütend seien, weil sie Männer sind; denn Wut ist für Männer ein Mittel, ihre Herrschaft über andere Männer geltend zu machen – ein wohlbekanntes männliches Machtmittel. Aber viele Gründe sprechen dafür, dass sich Boxer gegenseitig bekämpfen, weil ihnen die Gegner, auf die sich ihre Wut tatsächlich richtet, nicht zugänglich sind. Es gibt kein einziges politisches System, in dem das Schauspiel zweier miteinander kämpfender Männer nicht offenkundig, wenn auch absichtslos, für etwas anderes steht: für die politische Ohnmacht der meisten Männer (und Frauen). Man bekämpft, was einem am nächsten liegt, was verfügbar ist, was sich anbietet. Und, wenn möglich, tut man es für Geld.
    Wenn Boxer also allgemein voller Wut sind, müsste man schon sehr naiv sein, um nicht zu sehen, warum. In den meisten Fällen gehören sie zu den Entrechteten unserer Wohlstandsgesellschaft, sie stammen aus den Armenvierteln, den Gettos, in denen Wut und Zorn geeignetere Verhaltensweisen sind als christliche Demut und Selbstverleugnung. (Erst im Gefängnis bekam Sonny Liston, eines von fünfundzwanzig Kindern eines Landarbeiters in Arkansas, das erste Mal in seinem Leben genügend zu essen.) Im Frieden, theoretisiert Nietzsche, greift der kriegerische Mensch sich selbst an, 30 aber was genau ist «Frieden»? Und wo findet man ihn in diesen Armenvierteln mit ihrem unsäglichen Schmutz und Elend? Boxen mag ein Mittel sein, sich selbst in grausamer Weise anzugreifen, aber unmittelbarer ist es der Weg, das eigene Schicksal zu überwinden. Es ist sehr amerikanisch, wie Marvin Hagler in den Krieg zu ziehen und Millionen dabei zu verdienen.
    Die Geschichte des Boxens – des Kämpfens überhaupt – ist in Amerika die Geschichte des schwarzen Mannes. Man braucht kaum daran zu erinnern, dass in unserer Zeit der Anteil schwarzer Jugendlicher in der Armee unverhältnismäßig groß ist; und dass die Anzahl der schwarzen Soldaten, die in Vietnam fielen, diese Unverhältnismäßigkeit spiegelt. In den Jahren 1965 und 1966 machte die schwarze Bevölkerung elf Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Aber dreiundzwanzig Prozent aller in Vietnam Gefallenen waren Schwarze. Weniger bekannt ist vermutlich, dass vor dem Bürgerkrieg weiße Sklavenhalter im Süden ihre schwarzen Sklaven gegeneinander kämpfen ließen und Wetten abschlossen, wer gewinnen würde. Um eine Flucht der Sklaven zu verhindern oder vielleicht auch um die Erniedrigung der Schwarzen symbolhaft zu verdeutlichen, hatte man ihnen ein eisernes Halsband, nicht unähnlich einem Hundehalsband, umgebunden und sie an die Kette gelegt. Oft endeten diese Kämpfe mit dem Tod. Die Zuschauer waren natürlich Weiße, und es waren Männer.

    Abb. 3: WM -Kampf im Schwergewicht unter freiem Himmel in der Rushcutters Bay bei Sydney, Australien, am 26. Dezember 1908 zwischen dem amtierenden Weltmeister Tommy Burns (links) und dem Herausforderer Jack Johnson.

    Abb. 4: Marvelous Marvin Hagler feiert seinen Sieg über Thomas Hearns im Kampf um den Weltmeistertitel im Mittelgewicht in Las Vegas, 15. April 1985.
    Fighting slave collars , wie sie genannt wurden, kann man noch in Museen finden – manchmal als Zeugnisse der spezifischen Geschichte des amerikanischen Südens ausgestellt, manchmal als Folterwerkzeuge.
    In unserer Zeit, in der die meisten großen Boxer schwarz, hispanisch oder mexikanisch sind, wirkt ein Weißer im Ring blutleer; ein hellhäutiger Champion (der äußerst populäre Barry McGuigan zum Beispiel) ist etwas ganz Ungewöhnliches, weiße Herausforderer (Gerry Cooney, Matthew Hilton, Gene Hatcher und andere) sind sehr gesucht. Einer der beliebtesten Athleten in Kanada ist der junge Weltergewichtsboxer Shawn O’Sullivan, eine so alarmierend weiße Gestalt im Ring, dass die Zuschauer seines ersten Kampfes, der für ein amerikanisches Publikum aufgezeichnet wurde, fast sofort spürten, dass ihn sein erfahrenerer schwarzer Gegner, Simon Brown, im Handumdrehen besiegen würde. Die Ängste einer früheren Ära – dass schwarze Männer sich als «männlicher» erweisen könnten als weiße, wenn man sie öffentlich und nach fairen Regeln kämpfen ließe – schienen wahr werden zu wollen.
    Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, dass es von 1902 bis 1932 einen Schwergewichtstitel eigens für Schwarze gab, da viele weiße Champions (unter ihnen John L. Sullivan, Jim Jeffries, Jack Dempsey) es ablehnten, gegen Schwarze zu kämpfen. (1925

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