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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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werden – Dempsey hasste es, den Ring mit irgendjemandem zu teilen. Wenn er noch heute der spektakulärste (und beliebteste) Champion in der Geschichte des Boxens ist, verdankt er das unter anderem der Tatsache, dass er in einer Zeit boxte, in der Regeln noch sehr leger gehandhabt wurden, jedenfalls nach heutigem Standard. In der es zum Beispiel einem Boxer erlaubt war, auf einen Gegner einzuschlagen, der versuchte, wieder auf die Füße zu kommen – wie in dem bizarren Kampf gegen Willard und dem noch bizarreren gegen Luis Firpo. Daneben wirken heutige Kämpfe, wie zum Beispiel die zwischen den Schwergewichtlern Holmes und Spinks, wie harmlose Menuette. Während bei einigen Champions Aggressivität künstlich aufgebaut werden muss (bei Tunney zum Beispiel), war die Aggressivität Dempseys unmittelbar und angeboren: Er wollte seinen Gegner im Ring vermutlich wirklich töten. Seine schnellen Angriffe, seine Verachtung für jegliche Verteidigungsstrategie machten ihn zum Liebling der erregten Menge, die noch nie etwas Vergleichbares gesehen hatte.
    (Dempseys erster Titelkampf, 1919 gegen den alternden Champion Jess Willard, wurde seinerzeit ein «Boxmord» genannt und wäre heute noch innerhalb der ersten Runde, nach den ersten dreißig Sekunden, abgebrochen worden. Schlecht in Form, zirka sechsundzwanzig Kilo schwerer als der vierundzwanzigjährige Dempsey, hatte der siebenunddreißigjährige Willard seinem Herausforderer nichts entgegenzusetzen. Obwohl die Filmaufzeichnungen des Kampfes einen erstaunlich beweglichen, um nicht zu sagen tollkühnen Willard zeigen, der sich mehrmals aufrappelt, nachdem Dempsey ihn zusammengeschlagen hat, ging er aus dem Kampf doch mit einem gebrochenen Kiefer, gesplittertem Backenknochen, einem eingeschlagenen Nasenbein, sechs ausgeschlagenen Zähnen, einem zugeschwollenen Auge und schweren Unterleibsverletzungen hervor. Beide Boxer waren überströmt von Willards Blut. Jahre später behauptete Dempseys Manager Kearns, der sich mit ihm überworfen hatte, dass er Dempseys Boxhandschuhe präpariert habe – nämlich die Bandagen mit einem Puder behandelt, der durch Feuchtigkeitseinwirkung betonhart geworden sei –, aber ob diese Aussage der Wahrheit entspricht, wird man nicht beurteilen können.)
    Dempseys Kampfstil – schnell, erbarmungslos, direkt und schlagfreudig – prägte den Boxsport in Amerika für immer. Sogar Jack Johnson wirkt neben ihm gesetzt.
    Was den «Killerinstinkt» anbelangt, war Joe Louis eine Anomalie, die keine der Biografien, die über ihn geschrieben wurden, je ganz erklären konnte – auch nicht die neueste, vorzüglich recherchierte von Chris Mead: «Champion Joe Louis: Black Hero in White America» («Weltmeister Joe Louis: Schwarzer Held im weißen Amerika»). Aber es stellt sich die Frage, ob man die Beweggründe eines Menschen überhaupt erklären kann, von den oberflächlichen psychologischen und soziologischen Begriffen, in die man sie fasst, einmal abgesehen. Louis war außerhalb des Rings ein bescheidener und zurückhaltender Mann, aber im Ring war er eine Schlagmaschine, die ihresgleichen suchte – so (scheinbar) gefühllos, dass sich sogar seine Sparringspartner vor ihm fürchteten. «Es sind die Augen», sagte einer. «Sie sind völlig leer und starren dich an, lassen dich nicht los. Dieser leere Blick – das ist es, was dich fertigmacht.» Anders als sein berüchtigter Vorgänger Jack Johnson und sein noch berüchtigterer Nachfolger Muhammad Ali war Joe Louis gezwungen, die Tatsache, dass er schwarz war, vergessen zu machen; in der Zeit, in der Louis bekannt wurde, war es sicherlich nicht leicht, im weißen Amerika ein schwarzer Held zu sein. Louis’ starres Gesicht und seine Killeraugen waren wohl eher ein Aspekt einer gezielten Strategie als ein verlässlicher Hinweis auf seine Psyche. Und dass er in späteren Jahren eine Psychose – genauer gesagt eine Paranoia – entwickelte, war sicher eine Folge des Drucks, den er sein Leben lang zu erdulden hatte, wenn es nicht eine zwar überzogene, aber im poetischen Sinne wahre Antwort auf die sehr reale Bespitzelung war, unter der er jahrzehntelang gelitten hat.
    Eine der widersprüchlichsten Boxlegenden handelt vom Tod Benny «Kid» Parets durch Emile Griffith in einem Weltergewichtskampf, der 1962 im Madison Square Garden stattfand. Paret soll Griffith provoziert haben, es wird erzählt, er habe ihn maricón (Schwuler) geheißen, und er wurde in dieser Nacht von Griffith getötet.

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