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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Jahre später sagte Griffith, er sei nur den Instruktionen seines Trainers gefolgt – auf Paret einzuschlagen, ihn zu verletzen, Treffer auf Treffer zu landen, bis der Ringrichter den Kampf abbrach. Zu diesem Zeitpunkt war Paret, wie sich später herausstellte, bereits so gut wie tot. (Er starb etwa zehn Tage später.)
    Es gibt allerdings eine ganze Reihe von Boxexperten, die den Kampf gesehen haben und darauf bestehen, dass Parets Tod ein Unfall war. «Es passierte eben.»
    Heutzutage werden Boxkämpfe normalerweise sehr genau von Ringrichtern und Ringärzten überwacht: In jüngster Zeit wurde ein Kampf zwischen den Weltergewichtlern Don Curry und James Green abgebrochen, weil Green, der kurzfristig indisponiert war, die Boxhandschuhe sinken ließ und die Möglichkeit nicht auszuschließen war, dass er getroffen worden war; ein Kampf zwischen den Schwergewichtlern Mike Weaver und Michael Dokes wurde in der ersten Runde nach bereits zwei Minuten abgebrochen, bevor der glücklose Weaver überhaupt Zeit hatte, warm zu werden. Von Ausnahmen abgesehen – die Titelkämpfe zwischen Sandoval und Canizales und zwischen Bramble und Crawley fallen einem hier sofort ein –, ist die Autorität des Ringrichters immer größer geworden, sodass es manchmal den Anschein hat, als habe sich das dramatische Geschehen bei einem Boxkampf gewendet: Die Frage ist nicht mehr, ob X seinen Gegner k . o. schlagen, sondern ob der Ringrichter den Kampf vorher abbrechen wird. Bei den gewalttätigsten Kämpfen prägt sich deshalb das Bild des Ringrichters ein, der am Rande des Geschehens wacht, um einzuschreiten und einen geschwächten oder zur Verteidigung unfähigen Mann in einer Geste brüderlicher Besorgtheit zu umarmen. Es ist ein emotional sehr starkes Bild – nicht so sensationell wie ein tödlicher Treffer, aber es suggeriert, dass die Ethik des Rings sich vielleicht der Ethik unseres Alltagslebens anzupassen beginnt. Mythisch ausgedrückt wirkt es so, als ob zwei Brüder, die eine geheimnisvolle Abneigung dazu veranlasst, miteinander zu kämpfen, durch die Weisheit eines väterlichen Beschützers gerettet werden – Absolution erhalten für ihre kriegerische Feindseligkeit. Man verließ den Achtminutenkampf zwischen Hagler und Hearns unter dem Eindruck des Bildes, wie Hearns, nicht ganz Herr seiner Sinne, zwar aufrecht, aber nicht bei vollem Bewusstsein, von dem Ringrichter Richard Steele gerettet wurde. Er hätte schwere, wenn nicht gar tödliche Verletzungen davongetragen – bedenkt man die außerordentliche Wildheit, mit der Hagler an diesem Abend kämpfte, und die persönliche Wut, die er allem Anschein nach in den Kampf einbrachte. («Das war Krieg», sagte Hagler.) Der Kampf endete mit Hearns in der Umarmung Steeles: Die Tragödie war um Haaresbreite vermieden worden.
    Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die für eine Entwicklung in dieser Richtung nur Verachtung übrighaben. Für sie ist es eine Verweiblichung des Sports.
    Ich bin nie zu Boden gegangen. Ich war bewusstlos,
    aber ich bin nicht zu Boden gegangen.
    Floyd Patterson, ehemaliger Weltmeister im Schwergewicht
    Kein amerikanischer Sport, kein Tun überhaupt ist je so ausdauernd und leidenschaftlich angegriffen worden wie das Boxen, aus moralischen wie auch aus anderen Gründen. Und keine der anderen Sportarten in Amerika ruft bei ihren Anhängern eine so zwiespältige Reaktion hervor. Stellt man einem Boxfan die allbekannte Frage «Wie kann man nur …?», so weiß er keine Antwort. Über das Boxen kann er nur mit seinesgleichen sprechen.
    Im Dezember 1984 veröffentlichte die American Medical Association 36 eine Resolution, die die Abschaffung des Boxsports forderte. Die Gründe, die angeführt wurden, waren nicht die Gefahren, die der Sport birgt, denn andere Sportarten sind genauso gefährlich, wenn nicht gar gefährlicher – an ersten Stellen stehen dabei Football, Autorennen, Drachenfliegen, Bergsteigen, Eishockey; Boxen rangiert erst an siebter Stelle –, aber Boxen ist der einzige Sport, dessen Ziel es ist zu verletzen: Das Gehirn ist die Zielscheibe, der Knock-out das Ziel. In einer Studie wurde errechnet, dass siebenundachtzig Prozent der Boxer im Laufe ihres Lebens irgendeine Art von Gehirnverletzung erleiden, auch wenn ihre Karriere ansonsten relativ erfolgreich verläuft. Außerdem besteht das Risiko, schwere Augenverletzungen davonzutragen. Erschreckend, wenn auch nicht ganz zuverlässig sind die Ergebnisse soziologischer Studien,

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