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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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denen zufolge das Medieninteresse, das sich auf das Boxen richtet, einen unmittelbaren Einfluss auf die Häufigkeit von Mordfällen haben soll. (Die Soziologen David P. Phillips und John E. Hensley stellten die Behauptung auf, dass die Häufigkeit von Morden in den Tagen nach einem mit großem Presseaufwand begleiteten Kampf um durchschnittlich 12 Prozent zunehme. Als Grund geben sie an, dass ein Boxkampf «eine Person dafür belohnt, dass sie sich einer anderen Person gegenüber gewalttätig verhält. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was vor Gericht geschieht, wenn ein Mordfall erfolgreich abgeschlossen wird: Dort wird der Mörder dafür bestraft, dass er gegen eine andere Person körperliche Gewalt angewandt hat.») In einer Kultur, in der Gewalt im Fernsehen und im Film allerdings selbst für kleine Kinder alltäglich geworden ist, wird man an einem solchen Ergebnis seine Zweifel haben dürfen; trotzdem ist es wahrscheinlich, dass Boxen als ein Phänomen sui generis gewisse Emotionen eher hochputscht als beruhigt. Wenn Boxen der klassischen Tragödie auch insofern gleicht, dass es die Nachahmung einer Handlung und des Lebens ist, so kann es dem Zuschauer doch nicht die Katharsis von Mitleid und Schrecken bieten, von der Aristoteles spricht.
    Die wechselvolle Geschichte der Boxreformen ist so alt wie das Boxen selbst. Der Prize Ring war, wie gesagt, in den Tagen von Pierce Egans «Boxiana» in England gesetzlich verboten – obwohl die Aristokratie, unter ihnen der Prinzregent, regelmäßig die Kämpfe besuchte. Boxen war in verschiedenen Teilen der Vereinigten Staaten immer wieder verboten, und häufig gibt es Kampagnen, die seine endgültige Abschaffung fordern. Wie das Thema Abtreibung scheint auch das Thema Boxen tiefe und einander widersprechende Gefühle zu wecken. (Obwohl diejenigen, die das Verbot der Abtreibung fordern, nicht unbedingt die Gleichen sind, die das Boxen verbieten lassen wollen: Puritanische Sensibilität nimmt manchmal unvorhersehbare Formen an.) Dass Boxen mit Armut zusammenhängt, ist allgemein bekannt, aber kein Mensch kommt auf die Idee, oder man wagt sie jedenfalls nicht zu äußern, dass es naheliegender wäre, die Armut aus der Welt zu schaffen, wenn man das Boxen abschaffen will. Junge Boxer versichern regelmäßig, dass sie auf der Straße gefährdeter seien als im Ring – es ist kaum anzunehmen, dass sie einiger leichtgläubiger weißer Reporter wegen übertreiben.
    Gegen das Boxen wird auch ins Feld geführt, dass es Verbindungen zum organisierten Verbrechen gibt. Untersuchungen auf regionaler wie auf nationaler Ebene, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken, weisen solche Verbindungen vor allem für die Fünfzigerjahre als gesichert nach, obwohl die Situation auch heute problematisch ist. Man hat seine Zweifel, wie «verdächtige» Entscheidungen zustande kamen – standen sie von vornherein fest, oder sind sie einfach von den Vorurteilen der Schiedsrichter geprägt? Zum Beispiel Michael Spinks’ zweiter, höchst umstrittener Sieg über Larry Holmes; und der Kampf von Wilfredo Gomez gegen Rocky Lockridge vom Mai 1985 (als die Punktrichter den Weltmeistertitel im Junior-Leichtgewicht einem puerto-ricanischen Landsmann zuerkannten). Oder die kürzlich für das Fernsehen aufgezeichneten Kämpfe ehemaliger Olympiasieger gegen handverlesene Gegner, die manchen Zuschauer nicht ganz überzeugten …
    Vor nicht gar so langer Zeit sah ich die Filmaufnahme eines längst vergessenen Kampfes mit Willie Pep, dessen Ausgang im Vorhinein abgesprochen worden war. Pep ließ sich von einem Gegner schlagen, der ihm unterlegen war: Der großartige Federgewichtsboxer lieferte eine Vorstellung, wie man sie von einem Boxer, der schauspielert, vermutlich erwarten kann; er zeigte nicht sehr viel Eifer, spielte sein Talent nicht aus. Mir kam die Idee, dass Boxen so hoch entwickelt und gleichzeitig so ursprünglich ist, dass kein Kampf wirklich überzeugend nur gespielt werden kann; der Zuschauer spürt, was nicht geschieht, was zurückgehalten wird, und er liest dies wie eine Art ironischen Subtext zu dem, was vor seinen Augen wirklich abläuft. Im Boxen kann man versuchen davonzulaufen, aber man kann sich nicht verstecken.
    Nicht das Boxen selbst ist das Problem, sondern das Geld, das dahintersteht, die Wettgeschäfte in Las Vegas, Atlantic City und anderswo, und dieses Problem wird sich kaum lösen lassen. Ich habe versucht, die einhundertfünfunddreißig eng bedruckte Seiten lange

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