Über Boxen
offizielle Studie «Organized Crime in Boxing: Final Boxing Report of the State of New Jersey Commission of Investigation» («Organisiertes Verbrechen innerhalb des Boxsports: Abschlussbericht der Untersuchungskommission für Boxen des Staates New Jersey») vom Dezember 1985 zu lesen, und bin zu dem Schluss gekommen, dass die Kommission in ihrem Bestreben, das Boxen in New Jersey offiziell verbieten zu lassen, von vornherein von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Es wäre sinnvoller gewesen, das organisierte Verbrechen in New Jersey zu untersuchen und die Rolle, die Boxwetten darin spielen. Dass die Kommission dafür plädierte, das Boxen offiziell verbieten zu lassen, weil man Verbindungen zu kriminellen Kreisen feststellen konnte, zeugt von einer Naivität, in der pure Rachsucht eine Rolle spielen dürfte: Mit diesem Argument müsste man Bestattungsunternehmen, Pizzerien, Speditionsfirmen und gewisse Gewerkschaften ebenfalls verbieten. Und wenn man keine Wetten mehr aufs Boxen abschließen kann, wettet man eben auf Football, Basketball oder Baseball – was übrigens ja bereits geschieht.
Da Boxen unter der Ägide einiger geschickter Promoter, deren bekanntester wohl Don King 37 sein dürfte, ein Geschäft geworden ist, in dem sich Millionen verdienen lassen, ist es außerdem unwahrscheinlich, dass es überhaupt noch abgeschafft werden kann. Es würde einfach in den Untergrund abwandern, wie das ja auch mit der Abtreibung geschehen ist; oder es würde sich ins Exil verlagern, nach Mexiko, Kuba, Kanada, England, Irland, Zaire … Die Geschichte des Boxens ist voll von Situationen solcher Art, und es ist faszinierend zu sehen, wie unwiderstehlich der Drang zu kämpfen bei manchen Menschen ist und wie gleichermaßen unwiderstehlich das Bedürfnis anderer zu sein scheint, Zeugen eines solchen Kampfes zu sein.
So war der Titelkampf im Schwergewicht, der 1896 zwischen Ruby Robert Fitzsimmons und Peter Maher stattfand, überall in den Vereinigten Staaten verboten, weshalb er dann auf einer isolierten Sandbank im Rio Grande stattfand, vierhundert Meilen von El Paso entfernt. (Man muss sich das einmal vorstellen! Dreihundert Leute unternahmen eine höchst anstrengende Reise, um einen der wohl enttäuschendsten Titelkämpfe in der Geschichte des Boxens zu sehen, denn Fitzsimmons schlug Maher in fünfundneunzig Sekunden k . o.) Als Jack Dempseys Karriere in den Zwanzigerjahren auf ihrem Höhepunkt war, hatte man Boxen, wie übrigens auch Alkohol, in mehreren Staaten verboten, mit der Folge, dass sowohl das Boxen wie auch der Alkohol eine geradezu hysterische allgemeine Begeisterung auslösten. Zu Dempseys berüchtigtem Fünf-Minuten-Kampf gegen den hünenhaften Argentinier Firpo kamen fünfundachtzigtausend Zuschauer – wovon die meisten den Ring kaum zu Gesicht bekommen haben dürften, geschweige denn die Boxer. Beide Kämpfe, in denen Dempsey gegen Gene Tunney antrat, waren von über hunderttausend Zuschauern besucht – der erste fand im Freien statt, während eines Wolkenbruchs, der Regen strömte vierzig Minuten lang auf Zuschauer und Boxer gleichermaßen herunter und nahm ihnen jegliche Sicht. Fotos aus dieser Zeit zeigen überfüllte Arenen mit einem postkartengroßen Ring in der Mitte, der Ähnlichkeit mit einem Altar hat, die Boxer wirken wie winzige heraldische Figuren. Bei einem Dempsey-Kampf dabei gewesen zu sein hieß nicht, dass man den Kampf selbst gesehen hatte, aber vielleicht war das auch gar nicht das Wichtigste.
Als Jack Johnson 1908 den Titel im Schwergewicht gewann, musste er vorher den weißen Champion Tommy Burns bis nach Australien verfolgen, ehe sich dieser ihm stellte. Die «Gefahr», die man beim Boxen zu jener Zeit fürchtete, und einer der Gründe, weshalb besorgte Bürger es abschaffen wollten, bestand in der Möglichkeit, dass Weiße im Ring gedemütigt und beschämt würden. Nach Johnsons deutlichem Sieg über die «weiße Hoffnung» Jim Jeffries gab es rassistische Ausschreitungen und Lynchjustiz in vielen US -Staaten; sogar Filme über die Johnson-Kämpfe waren mancherorts gesetzlich verboten. Und da sich im Boxen in den letzten Jahrzehnten Schwarze und Hispanier hervorgetan haben, wird es vor allem von Reformern der weißen Mittelschicht (besonders der American Medical Association) angegriffen, die nicht daran denken würden, eine Lobby gegen Sportarten des Establishments wie Football, Autorennen und Pferderennen zu bilden, die genauso gefährlich sind.
Der verstorbene Nat
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