Über Boxen
womöglich noch größerer Boxer zum Vorschein, der Ali der Kampftrilogie gegen Joe Frazier, deren ersten Kampf er verlor.
Sugar Ray Leonard, nach Ali der Boxer mit dem größten Charisma, kultivierte einen Ringstil, der Gegensätzliches in einer quecksilbrigen Balance zusammenhielt und mit einer Schicht spielerischer Arroganz versah, einer Weisheit der Straße, die sehr an den jungen Ali erinnerte. Und obwohl Leonard überaus begabt war, zeigte es sich erst in seinen härtesten Kämpfen (gegen Hearns und Durán), ein wie intelligenter und unbezähmbarer Boxer er wirklich war. Nachdem er einmal gegen Durán verloren hatte, hätte er keine zweite Niederlage verkraftet. Sein Stolz hätte es ihm nicht erlaubt. Genauso wenig erlaubte es ihm sein Stolz weiterzuboxen, nachdem er dachte, er habe seinen Höhepunkt überschritten. (Obwohl Leonard, während ich diesen Essay schreibe, öffentlich erklärt, dass er noch einen großen Kampf kämpfen wolle. Er sei der Einzige, der Marvin Hagler schlagen könne. Es sei eine Sache des Egos, sagt Leonard, als ob wir das nicht wüssten.)
Die Persönlichkeit, die sich auf gesellschaftlichem Parkett, und jene, die sich im Ring zeigt: ein Thema für sich. Allein, es gibt vielerlei Persönlichkeiten, und natürlich gibt es vielerlei Boxer – das reicht von dem schüchternen, introvertierten, entsetzlich wortkargen Johnny Owen (dem walisischen Bantamgewichtler, der 1980 nach einem Kampf gegen Lupe Pintor starb) bis hin zu dem auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn häufig manischen Muhammad Ali (Norman Mailer verglich ihn mit einem 1,80 Meter großen Papagei, der unaufhörlich jedem, der es hören will, zuschreit, dass er der Mittelpunkt sei, um den sich alles drehe. «Komm her, du Dummkopf, versuch es doch, mich zu erwischen. Das schaffst du nicht, weil du nicht weißt, wer ich bin.») Die Palette umfasst den für seine Prahlereien berüchtigten John L. Sullivan wie die relativ bescheidenen Rocky Marciano und Floyd Patterson. (Patterson, der jüngste Boxer, der je einen Titel im Schwergewicht gewann, galt als überhaupt nicht gewalttätig. Er soll einmal seinem Gegner geholfen haben, dessen Mundschutz vom Boden aufzuheben. «Ich kann kein Blut sehen», erklärte Patterson. «Es macht mir allerdings nichts aus, wenn ich selbst blute, das sehe ich ja nicht.» Er war kein Gegner für den nächsten Schwergewichtschampion, Sonny Liston, weder körperlich noch psychisch.) Auf jeden Boxer mit einem ähnlichen Ruf wie Roberto Durán kommt sicherlich ein Dutzend anderer, die einfach «nett» sind – Ray Mancini, Milton McCory, Mark Breland, Gene Hatcher zum Beispiel und andere. Ehe er entscheidende Kämpfe verlor und es mit seiner Karriere bergab ging, wurde John Collins, der junge Mittelgewichtsboxer aus Chicago, in der Öffentlichkeit häufig als gespaltene Persönlichkeit dargestellt, als ein «Dr. Jekyl l / Mr. Hyde» des Rings: Die grundlegende (und ziemlich unredliche) Frage, die ihm immer wieder gestellt wurde, war: «Wie ist es möglich, dass ein so netter und höflicher junger Mann wie Sie im Ring so bösartig ist?» Collins’ Antwort war deutlich genug: «Wenn ich im Ring bin, kämpfe ich um mein Leben.»
Man könnte die Theorie aufstellen, dass das Kämpfen bei bestimmten Menschen nicht nur einen Adrenalinstoß bewirkt, den sie als ausgesprochen angenehm empfinden, sondern auch ein atavistisches Selbst weckt, das, gekoppelt mit einer Art instinktiver Körperintelligenz, einer neurologischen Bereitschaft, schnell zu reagieren, die der «Durchschnittsmensch» nicht kennt, den geborenen Kämpfer, den großen Champion, den zweifellos begabten Boxer ausmacht. Eine Outlaw-Persönlichkeit am Rande des Gesetzes, die man publikumswirksam mit dem Attribut «Killerinstinkt» adelt. (Obwohl es immer sehr vage ist, von Instinkt zu sprechen. Denn wie kann man «Instinkt» aus dem Zusammenhang verschiedenster Faktoren – Gesundheit, Klassenzugehörigkeit, Familienbeziehungen oder einfach Glück oder Pech –, die ein Leben üblicherweise bestimmen, herauslösen?) Man erkennt den Boxer mit dem Killerinstinkt, wenn die Zuschauermenge als Reaktion auf einen Angriff in einer Welle von Delirium aufspringt, ganz gleich ob der Gegner der Favorit ist, ein «netter Junge», dem niemand ernstlich wünscht, dass er verletzt wird.
Die menschliche Rasse kennt den Instinkt zu kämpfen, aber gibt es einen Instinkt zu töten ? Hätte ein «geborener» Killer die Disziplin, ganz zu schweigen von der
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