Über Boxen
für Zuschauer etwa so spannend ist, wie einem Baum beim Wachsen zuzusehen. Obwohl nie jemand Marvelous Marvin Haglers Integrität angezweifelt hat, stimmte sein Verteidigungskampf um den Mittelgewichtstitel gegen Roberto Durán vor einigen Jahren viele Beobachter skeptisch: Der sonst so angriffslustige Hagler wirkte merkwürdig besorgt um seinen Gegner. Doch der skandalöseste Vorfall in letzter Zeit bleibt nach wie vor Duráns Entscheidung, nach zwei Minuten und vierundvierzig Sekunden der achten Runde seines Verteidigungskampfes um den Weltergewichtstitel 1980 gegen Sugar Ray Leonard einfach aufzugeben: «No más!» Nicht mehr! Leonard war drauf und dran, ihn auszuboxen, ihn lächerlich zu machen, und Durán hatte die Nase voll. Dem Machismo geht schnell die Luft aus.
Obwohl die meisten von Mike Tysons achtundzwanzig Kämpfen mit Knock-outs endeten, oft in den Anfangsrunden und einmal (gegen Joe Fraziers glücklosen Sohn Marvis) innerhalb von dreißig Sekunden in der ersten Runde, haben ihn manche Gegner wie «Bonecrusher» Smith gezwungen, das Tempo zu drosseln, wodurch er dann ratlos, übertölpelt und zeitweilig unbeholfen wirkt. Da kommen einem sofort «Quick» Tillis und Mitch Green in den Sinn und auch José Ribalta, obwohl Tyson den schließlich in der letzten Runde eines Zehnrundenkampfes k . o. geschlagen hat. Der hässlichste Kampf in Tysons Karriere war vielleicht der gegen Jesse Ferguson, der Smiths Vorgehensweise vorwegnahm und sich so verzweifelt an Tyson klammerte, nachdem dieser ihm die Nase gebrochen hatte, dass nicht einmal der Ringrichter die Männer trennen konnte. (Ferguson wurde disqualifiziert und Tyson zum Sieger durch technischen K . o. erklärt.) Solche Darbietungen gehören weder zu den großen Momenten des Boxens, noch lassen sie für Tysons Zukunft Gutes ahnen. Ein großer Champion braucht große Gegner.
In Las Vegas ist «Unangemessenheit» oder «vulgäres Benehmen» kein Begriff. Dieses Märchenland für Erwachsene mit seiner funkelnden Neonskyline, seinen 24-Stunden-Kasinos ohne Uhren, mit den Einarmigen Banditen und den Spieltischen – Craps, Keno, Roulette, Baccara, Blackjack und dergleichen –, geschaffen 1931 per Anordnung, als der Gesetzgeber von Nevada das Glücksspiel für legal erklärte, ist eine Gegenwelt zu unserer eigenen. Hier gibt es kein Tageslicht, denn die riesigen Kasinos bestehen nur aus Innenräumen, wie das Innere eines Schädels. Glücksspiel ist fortwährender Selbstmord, hat François Mauriac 10 einmal gesagt. Zwar Selbstmord, aber immerhin ein fortwährender. Es gibt keine Vergangenheit, keine nennenswerte Zukunft, nur eine ständige, immer optimistische Gegenwart. Vegas ist unsere amerikanische Musterstadt, eine wirre Ansammlung von Hotels in der Wüste, von Glückstempeln, in denen wir vermutlich alle gleich sind, anders als vor dem Gesetz oder vor Gott oder voreinander. In den Kasinos, insbesondere vor den endlosen Reihen Einarmiger Banditen, sieht man Männer und Frauen aller Altersstufen, Rassen, Typen und wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher Intelligenzgrade genauso hoffnungsvoll auf ihre Maschinen starren wie Schriftsteller und Akademiemitglieder auf ihre Computer. Wenn man nur treu und brav und wie besessen weitermacht, knackt man den Jackpot bestimmt. (Sie wissen schon, beim Jackpot leuchtet das Gerät auf, eine bekloppte Musik ertönt, und eine Flut von Münzen ergießt sich gleich jenem geilen griechischen Gott 11 in Ihren Schoß.) Den näselnden Tonfall der Ironie – den notorischen Akzent der Kulturkritik im Amerika des 20. Jahrhunderts – kennt man hier ebenso wenig wie Schnee oder natürlich grünes Gras.
Folglich ist es keineswegs unangemessen, dass in Las Vegas im Hilton und im Caesars Palace Boxkämpfe veranstaltet werden, dass VIP -Tickets tausend Dollar und mehr kosten und die billigsten Plätze für fünfundsiebzig Dollar so weit vom Ring entfernt liegen, dass der Besuch eines Kampfes eher ein Akt formaler oder symbolischer Natur ist. Es ist auch nicht unangemessen, dass diese körperlichste aller Sportarten genauso wie das Kartenspiel oder das Würfeln vor allem als eine Gelegenheit zum Wetten wahrgenommen wird. In den bestens ausgestatteten Sportsälen der großen Kasinos, wo stumm gestellte Bildschirme die verschiedensten sportlichen Ereignisse übertragen und ständig Wettergebnisse wie Börsenberichte gemeldet werden, kann man auf praktisch jede Sportart wetten, vorausgesetzt, es handelt sich um Profis und nicht um
Weitere Kostenlose Bücher