Über Boxen
der frustrierte Holmes Runde um Runde seinen rechten Handschuh hochhielt wie eine Zauberkeule, die nur darauf wartete, geschwungen zu werden. Armer Holmes! Armer Lear! 9 Das ist das eigentlich Poetische am männlichen Scheitern – dass es psychisch nie abgeschlossen wird. Solche Kämpfe werden zwar irgendwann beendet und erscheinen im Nachhinein sonderbar, aber sie werden nie verarbeitet.
Tysons Dilemma mit «Bonecrusher» Smith erinnert an Jack Dempsey, der während der Kämpfe gegen Tunney seinen zurückweichenden Widersacher ähnlich frustriert anschrie: «Los, box!» Doch Dempsey war trotz seines Renommees nicht die Art von strategischem Boxer, zu der Tyson akribisch ausgebildet worden ist; sein Stil im Ring war gekennzeichnet durch buchstäblich dauerndes Angreifen fast ohne Deckung, das heißt, er war bereit, Schläge einzustecken, um eigene auszuteilen. Er wurde von dem vorsichtigeren und intelligenteren Tunney ausgeboxt und verlor schließlich beide Kämpfe. In der Begegnung Tyson/Smith steht außer Frage, dass Tyson dem anderen überlegen ist; in diesem Kampf, im Grunde einem der leichtesten seiner zweijährigen Profikarriere, wird er jede Runde einstimmig gewinnen. Aber das ist kaum die dramatische Show, die er hatte abliefern und die die Promoter hatten präsentieren wollen. Kein Knockout, keine einzige der umwerfenden Kombinationen, für die er berühmt ist, sehr wenig von dem, was D’Amato seinen Schützlingen als des Boxers erste Pflicht gegenüber seinen Zuschauern eingebläut hat: zu unterhalten. Auch Gewinnen kann eine Art von Scheitern sein.
Der Kampf erinnert an einige frühere Kämpfe Tysons mit Gegnern, die sich aus Angst oder Schläue oder beidem weigerten, gegen ihn zu kämpfen; doch noch quälender erinnert er an Joe Louis’ üble Situation als Schwergewichtschampion, als er in seiner Gewichtsklasse schon alle ernsthaften Konkurrenten beiseitegefegt hatte und sich jeweils mit einem bloßen «Gegenüber» begnügen musste – «Fallobst des Monats», wie die Presse sie verächtlich nannte. Und schlimmer noch: Louis’ Ruf als Schläger, als Schlagmaschine, schüchterte seine Gegner so ein, dass sie vor lauter Angst nicht mit ihm in den Ring steigen wollten. («In den Ring steigen? Meinem Schützling musste man schon helfen, vor den Traualtar zu treten», soll ein Manager gesagt haben.) Für einen Sport, der regelmäßig wegen seiner Brutalität angegriffen wird, gibt es in der Boxgeschichte erstaunlich viele blamable Ereignisse. In diesem Zusammenhang wird unweigerlich Louis’ Titelverteidigung gegen einen längst vergessenen Herausforderer namens Pastor zitiert, den er durch zehn öde Runden jagte, abwechselnd Davonlaufen und Klammern, Davonlaufen und Klammern. Während sich das erste Treffen Rocky Marciano/Jersey Joe Walcott im September 1952 durch die Tapferkeit beider Boxer auszeichnete – in diesem Kampf holte Marciano den Schwergewichtstitel –, endete der Rückkampf acht Monate später bereits mit Marcianos erstem Schlag: Walcott saß am Boden und machte keinerlei Anstalten aufzustehen, als er angezählt wurde. («Nach dreiundzwanzig Jahren als Profiboxer ging der frühere Champion mit Schimpf und Schande aus dem Ring, und dafür gibt es keine Entschuldigung», meint Red Smith, ein ehemaliger Bewunderer von Walcott.) Beide Titelkämpfe zwischen Muhammad Ali und Sonny Liston blieben wegen Listons erstaunlichem Verhalten im Gedächtnis: Im ersten, in dem Liston seinen Titel verteidigte, weigerte er sich nach der sechsten Runde weiterzukämpfen und schützte eine Schulterverletzung vor, im zweiten ging er in der ersten Runde, nach einer Minute und achtundvierzig Sekunden, rätselhaft bereitwillig zu Boden, niedergeschlagen von einem verheerenden, wenn auch unsichtbaren Schlag gegen den Kopf. (Es war eine schmähliche Niederlage für Liston, die letztendlich seine Karriere beendete. Ihm wurde nie mehr ein Titelkampf angeboten. Selbst die Umstände seines Todes einige Jahre später im Alter von achtunddreißig Jahren waren verdächtig.) Da gab es Dempseys berüchtigten Kampf gegen Tommy Gibbons 1923 in Shelby, Montana, der Dempsey und seinen Promoter Kearns reich machte, die Stadt aber an den Rand des Bankrotts brachte; da gab es den bizarren «Slapsie» Maxey Rosenbloom, Weltmeister im Halbschwergewicht Anfang der Dreißigerjahre, eine Art pazifistischer Boxer, dessen Taktik darin bestand, zuzuschlagen (manchmal auch mit offenen Händen) und dann wegzulaufen – ein Boxstil, der
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