Über Boxen
unterscheiden. Mit den Worten von Sugar Ray Seales, 1972 Olympiasieger im Mittelgewicht, einem Veteranen mit über vierhundert Amateur- und Profikämpfen, der infolge seiner Verletzungen im Ring erblindet ist: «Ich bin in die Wildnis gegangen und habe dort mit den Tieren gekämpft, und als ich zurückkam, war ich blind.»
Clifford Geertz stellt in seinem klassischen anthropologischen Essay von 1972 «Deep Play: Bemerkungen zum balinesischen Hahnenkampf» fest, dass der heute illegale Hahnenkampf eine ganz und gar männliche, ausgeprägt maskuline Obsession ist: Der «Hahn» ist das männliche Geschlechtsorgan, wie die Balinesen freimütig zugeben, aber er ist mehr als nur das – er ist der Mann, die Männlichkeit selbst, verschlüsselt und einzeln betrachtet im Zusammenhang mit anderen Individuen, will sagen mit der Gesellschaft. Der Hahnenkampf ist vollkommen hirnlos, mörderisch, primitiv, animalisch – und kurzlebig. Der Balinese liebt seinen Kampfhahn und behandelt ihn zärtlich, doch wenn er einmal tot ist, ist er tot und wird rasch vergessen. (Es kommt vor, schreibt Geertz, dass der Besitzer in einem Anfall von Wut und Enttäuschung seinen getöteten Hahn zerstückelt.) Das Boxen in den Vereinigten Staaten ist ein wesentlich komplizierteres kulturelles Phänomen als der balinesische Hahnenkampf – es hat zum Beispiel viel zu tun mit der Hierarchie der Einwanderergruppen und den sich ständig verändernden Spannungen zwischen den Rassen –, aber einige der Grundregeln, die Geertz im Hahnenkampf dingfest macht, greifen bestimmt auch hier: Die Männer sind vom Boxen fasziniert, weil sie hier glauben können, die Männlichkeit werde nur mit den Maßstäben der Männer gemessen, nicht mit denen der Frauen, und weil es aufgrund seiner höchst realen Gefahren eine Art von deep play ist, ein Spiel, bei dem das Risiko so hoch ist, dass es vom utilitären Standpunkt aus gesehen unsinnig ist, sich überhaupt daran zu beteiligen, ein Spiel, das die Welt zeigt, wie sie wirklich ist, und nicht, wie sie angeblich ist oder erwünscht oder versprochen wird. Der Boxer geht völlig in seinem Tun auf und hat jenseits davon keine aussagekräftige Identität; der Kampf ist eine Art Krampf, streng reglementiert in Raum (ein genau abgezirkeltes Quadrat, das wie ein Pferch durch Seile begrenzt wird) und Zeit. Jack Dempsey, dem zu Ehren der Begriff «Killerinstinkt» geprägt wurde, sagte einmal, wegen der vielen Regeln und Vorschriften sei er nicht der Boxer geworden, der er hätte werden können: «Man kämpft in Drei-Minuten-Runden, mit Handschuhen und einem Ringrichter. Das heißt doch nicht kämpfen!» Die Leidenschaften, die dieser Sport weckt, überschreiten immer seinen «utilitären» Wert, da er genau genommen gar keinen hat. So wie der blutige, ewig gleichbleibende und kurzlebige Hahnenkampf die balinesische Deutung einer balinesischen Erfahrung ist, eine Geschichte, die sich balinesische Männer über sich selbst erzählen, so ist der amerikanische Boxkampf eine Deutung amerikanischer Erfahrungen, unsentimental und plastisch. Ja, denkt man, ihr habt uns von den Werten der Zivilisation erzählt; ihr habt uns jene angeblich christliche Tugend gelehrt, habt uns beigebracht, dass man die andere Wange hinhalten muss, dass Sanftmut die Grundvoraussetzung dafür ist, die Erde in Besitz nehmen zu können − ein (manipulativer? weiblicher ?) Kunstgriff, der nur auf Umwegen funktioniert. Der Boxkampf hingegen gibt uns etwas anderes zu verstehen, und diese Sicht auf das Leben ist uns lieber. Die Boxer machen das Unsichtbare in uns sichtbar, und dadurch definieren sie uns und sich selbst in einer einzigartigen Weihehandlung. Wie Rocky Graziano einmal gesagt hat: «Der Kampf ist ein Kampf ums Überleben.»
Es ist wie mit der Liebe. Eine Frau kann untreu sein, kann gemein sein, kann grausam sein, das hat alles nichts zu sagen. Wenn man sie liebt, will man sie haben, auch wenn sie einem alles Leid der Welt zufügt. So geht es mir mit dem Boxen. Es kann mir alles Leid der Welt zufügen, aber ich liebe es.
Floyd Patterson,
ehemaliger Weltmeister im Schwergewicht
Ein wirklich intensiver Boxkampf geht deutlich von einem theoretischen Hintergrund aus, und der Boxer unserer Tage, dessen Kämpfe am konsequentesten von einer solch inneren, wenn auch selten formulierten Logik befeuert sind, ist Mike Tyson, der jüngste unangefochtene Schwergewichtsweltmeister der Geschichte.
Tysons erster Titelkampf zum Beispiel, bei dem er gegen
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