Über Boxen
Amateure. Am beliebtesten sind natürlich Baseball, Football, Basketball, Boxen und Pferderennen, der Sport, der überhaupt nur wegen der Wetten erfunden wurde. In diesen halbdunklen Räumen sitzen die Spieler mit einem Drink in der Hand wie in Trance oder im Koma da und starren auf die Bildschirme und auf Hunderte – oder sind es Tausende – von Meldungen. Rote Zahlen vor einem schwarzen Hintergrund. Ein Dutzend oder mehr Bildschirme als elektronische Collage. Der bevorstehende «Jahrhundertkampf» zwischen Marvelous Marvin Hagler und Sugar Ray Leonard um Haglers unangefochtenen Titel im Mittelgewicht am 6. April 1987 im Caesars Palace ist ein Traum für das Kasino: Am 7. März stehen die Quoten –3,25 für Hagler und +2,25 für Leonard auf die folgenden Ergebnisse: 1. Der Kampf geht nicht über zwölf Runden, 2. Sieg Hagler durch K . o., 3. Sieg Hagler nach Punkten, 4. Sieg Leonard durch K . o., 5. Sieg Leonard nach Punkten. Die Quoten für den Kampf Mike Tyson/«Bonecrusher» Smith stehen bei –7 für Tyson und +5 für Smith, was bedeutet, dass man ordentlich Geld scheffeln könnte, wenn man auf Smith setzte – wenn Smith nur gewinnen würde. Da Tysons Sieg eine ausgemachte Sache ist, bieten die Buchmacher nur eine einzige Alternative an: Geht der Kampf über mehr als vier Runden oder nicht? So erklärt sich auch das Jubelgeschrei (das einzige während dieses Kampfes), als der Gong das Ende der vierten Runde anzeigt und Smith, an der linken Wange blutend und von Mills Lane erneut abgemahnt, weil er immer klammert und das Kommando «Break!» nicht beachtet, trotz allem in seine Ecke geht.
Während vor dem Bürgerkrieg weiße Sklavenhalter aus den Südstaaten ihre schwarzen Sklaven häufig zwangen, mit spektakulärer Brutalität gegeneinander zu kämpfen, und Wetten auf das Ergebnis abschlossen, treten in Las Vegas die Nachkommen dieser Sklaven und ihre schwarzen Verwandten von den Karibischen Inseln, aus Afrika und anderswoher für erfreulich prall gefüllte Börsen freiwillig gegeneinander an. Amerikanische Boxer sind die bestbezahlten Sportler der Welt, und die bestbezahlten Kämpfe finden immer in Vegas statt. Marvin Hagler zum Beispiel verdiente im April 1985 mindestens siebeneinhalb Millionen Dollar für seine Titelverteidigung gegen Thomas Hearns, der sieben Millionen bekam; im April 1987 wird ihm ein Minimum von elf Millionen garantiert, und Leonard bekommt zehn Millionen, für einen Kampf, von dem die Boxpromoter schon jetzt sagen, dass er mehr Geld einspielen wird als jeder andere Boxkampf der Geschichte. («Es gibt bestimmt auf beide Boxer Hunderttausend-Dollar-Wetten», sagt ein Kasinobesitzer, «und die nehmen wir gern an.») Mike Tyson erhält für seinen Kampf gegen Smith mindestens anderthalb Millionen (Smith eine Million), und wenn sich seine spektakuläre Karriere fortsetzt, wie jedermann prophezeit, wird er bald so viel wie Hagler und Leonard verdienen, wenn nicht mehr. Zwar mangelt es Tyson an Muhammad Alis originellem Narzissmus, aber andererseits ist er nicht wie Ali durch scharfmacherische schwarze Politik belastet und durch die Neigung, die Weißen gegen sich aufzubringen. Trotz seiner Zurückhaltung, seiner sonderbaren, geradezu gespenstischen Mischung aus Schüchternheit und Angriffslust hat er ein wunderbar markttaugliches Image. Man braucht sich bloß die Ikone «Mike Tyson» auf Plakatwänden und in Zeitungsanzeigen anzusehen, ein metallisch glänzender Mann, keine zwanzig Jahre alt, eine Maschine aus Oberflächen, Winkelstücken und unmenschlicher Gelassenheit: «Iron Mike» Tyson.
Doch wie befangen gibt sich der wirkliche Tyson nach dem unrühmlichen Sieg und der lärmenden Pressekonferenz in einem bonbonfarbenen, gestreiften Zelt in einer Ecke des Hilton-Parkplatzes! Abends auf der überfüllten Siegesfeier im dreißigsten Stock des Hotels erhascht man nur kurze Blicke auf ihn, während er interviewt, fotografiert und gefilmt wird, und später, als er, umringt von Journalisten, durch die Menschenmenge im Hotelfoyer geführt wird. Noch immer filmt man ihn, mit dem grotesk verzierten WBC -Gürtel am Leib und dem neuen WBA -Gürtel über der Schulter, das Gesicht nichtssagend, düster, von der Kapuze beschattet und höchstwahrscheinlich verlegen. («Es war ein langer und langweiliger Kampf – zwölf Runden.») Er wirkt wie ein gefangener Halbgott oder verurteilter König aus Frazers «Der goldene Zweig» 12 .
Was ist «tabu», abgesehen von jenem Etwas in uns, das
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