Über Boxen
gegenüber einem Sport, der fast ausschließlich zu einem Tummelplatz der schwarzen und anderen ethnischen Minderheiten geworden ist, hat ihre Entsprechung in einer klassischen Äußerung von Präsident Bush: Er sei besorgt angesichts der Unmenge von «Schmutz», die sich durch die im Fernsehen gesendeten Verhöre und Gerichtsprozesse über Amerika ergieße: Das Problem besteht also nicht darin, dass der Fall Clarence Thomas / Anita Hill 2 oder der Vergewaltigungsprozess gegen William Kennedy Smith 3 den «Schmutz» im Kern gewisser männlich-weiblicher Beziehungen in unserer Gesellschaft enthüllen, sondern dass solche Verhandlungen und Prozesse überhaupt stattfinden und auch noch ausgestrahlt werden. Verhindere den Anblick, dann existiert auch nichts Widerliches mehr.
Die Ästhetik des Boxens steht in scharfem Gegensatz zu seiner Ethik. Nachdem der Ringrichter seine Jungs beschworen hat: «Kämpft einen guten, sauberen Kampf!», brauchen sie nicht mehr darüber nachzudenken, was einen «guten, sauberen Kampf» moralisch von einem anderen unterscheidet. Schwarze Boxer, angefangen von Jack Johnson (dem ersten und schillerndsten schwarzen Schwergewichtschampion, 1908 bis 1915) über Joe Louis, Sugar Ray Robinson, Muhammad Ali, Larry Holmes, Sugar Ray Leonard bis zu Mike Tyson, waren sich sehr genau der Tatsache bewusst, dass sie einer anderen Rasse angehörten als ihre Zuschauer, die sie auf die eine oder andere Weise, als schwarze Schurken oder Weiße ehrenhalber, zufriedenstellen mussten. (Nachdem der Schwergewichtler Sonny Liston den «guten, bescheidenen Neger» Floyd Patterson im Titelkampf 1962 vernichtend geschlagen hatte, genoss er seine Rolle als schwarzer Bösewicht, doch als er dann so unrühmlich gegen Muhammad Ali verlor, einen forschen Schwarzen neuen Stils, der sich für sein Image an Gestalten wie Jack Johnson, Sugar Ray Robinson und sogar dem affektierten Wrestler Gorgeous George orientierte, verschwand auch Listons geheimnisvoller Nimbus, und seine Karriere war bald beendet.) Die Rassenzugehörigkeit spielt beim amerikanischen Boxen eine wesentliche Rolle, das ist nicht zu übersehen, aber die daraus erwachsenden moralischen Fragen sind – wie immer in diesem paradoxen Sport – doppeldeutig. Gibt es einen moralischen Unterschied zwischen dem Spektakel in den alten Südstaaten, wo schwarze Sklaven von ihren weißen Eigentümern gezwungen wurden, bis zum Tod zu kämpfen, damit diese Wetten abschließen konnten, und dem Auftritt der Schwarzen heutzutage, die für ihre Kämpfe und deren Fernsehübertragungen von Las Vegas bis Atlantic City mehrere Millionen Dollar kassieren? Als 1980 der alternde und kränkelnde Muhammad Ali in einem extrem zynisch vermarkteten Boxkampf gegen den jungen Schwergewichtschampion Larry Holmes antrat, einer Art «Hinrichtung», die nach zehn Runden abgebrochen wurde, hat es da etwa den Schmerz und die Schmach gelindert, dass Ali für diesen Kampf acht Millionen Dollar garantiert worden waren? (Von denen ihm der Promoter Don King mit typischer Schläue fast eine Million abgeluchst hat.) Fragen Sie die Boxer.
Das Boxen heutzutage unterscheidet sich sehr vom Boxen vergangener Zeiten, als es noch erlaubt war, auf einen Mann einzuschlagen, während dieser versuchte, wieder auf die Beine zu kommen (Dempsey / Willard, 1919), oder als einer in drei völlig einseitigen Runden siebenmal niedergeboxt werden konnte (Patterso n /Johansson I, 1959) und ein anderer, auch als er schon wehrlos war, ungezählte brutale, sinnlose Schläge gegen den Kopf hinnehmen musste, sodass er zehn Tage später im Koma starb (Griffith/Paret, 1962). Wer heute gegen einen von Don King gemanagten Gegner kämpft, läuft vor allem Gefahr, dass der Kampf von einem übereifrigen Ringrichter aus Sorge um Kings Geldanlage vorzeitig abgebrochen wird. Nachdem das Boxen «reformiert» wurde, ist es auf einer tieferen, unbewussten Ebene weniger befriedigend, es ähnelt schon fast dem Amateurboxen; da es aber primitiv, brutal, blutig und gefährlich bleibt, wirkt es in einer Gesellschaft, die sich human gibt, erst recht anachronistisch, wenn nicht sogar widerlich. Seine Galionsfigur ist der Krieger aus jenen sagenumwobenen Zeiten, ehe die Waffen erfunden wurden; es ist der Triumph physischen Könnens in einer technisch hoch entwickelten Welt, in der das Physische im Vergleich zu den intellektuellen Fähigkeiten kaum zählt. Wer würde heute noch mit bloßen Fäusten kämpfen, selbst in der rauen Welt der
Weitere Kostenlose Bücher