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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates
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schon an, bevor Tyson in die Arena kam (ohne Mantel, aber mit den drei riesigen, absurd verzierten Gürteln, den Kampfabzeichen seiner drei Titel), und bewegte sich stetig, in manchen Abschnitten fast unerträglich, auf seinen Höhepunkt in der siebten Runde zu, als der blutbespritzte Ringrichter Tony Orlando den Kampf nach dem zweiten Niederschlag abbrach, ohne Biggs anzuzählen. Tysons erbarmungsloser, treibender Kampfstil, der ihn unbesiegbar erscheinen lässt, weckt in angeblich normalen Menschen ein merkwürdiges Verhalten. Identifizieren sich die meisten Männer mit Tyson als potenziellem Mörder? Identifizieren sich die meisten Frauen mit Tysons Opfern? Oder bedeutet «Identifikation» im Zusammenhang mit dem Kampf einfach das Schauspiel an sich, das bloße Außer-Gefecht-Setzen? Bei einem großen Kampf – und Tyson hatte noch keinen großen Kampf, einfach deshalb, weil er noch nie auf einen ebenbürtigen Gegner getroffen ist – erlebt der Zuschauer so etwas wie die geheimnisvolle aristotelische Katharsis, eine Reinigung von Mitleid und Schrecken durch das Ausleben dieser Emotionen; es sind die unbewussten Nachwehen der klassischen Tragödie.
    Diese Kämpfe bleiben einem im Gedächtnis, manchmal zwanghaft, wie albtraumhafte Bilder, die man nicht mehr loswird, doch das unmittelbare Miterleben in der Arena hat etwas Irritierendes, Erschütterndes, manchmal fast Hysterisches. Dafür gibt es ganz elementare, man könnte auch sagen primitive Gründe: Entweder trifft Tyson seinen Gegner, oder er ist kurz davor, seinen Gegner zu treffen, und wenn in den nächsten Sekunden nichts Schlimmes passiert, so nicht deshalb, weil Tyson es nicht versucht hätte. (Für einen Mann von seinem Körperbau hat er außerordentlich schnelle Hände, und er schlägt Kombinationen.) Entgegen den Vorwürfen der Kritiker, Boxen sei «barbarisch», «grausam» und so weiter, passiert in einem durchschnittlichen Boxkampf nicht viel, und die Kenner akzeptieren das bereitwillig, doch in Tysons Kämpfen (mit einer auffälligen Ausnahme, dem Titelkampf gegen «Bonecrusher» Smith am 7. März 1987) kann alles passieren, und manchmal passiert auch alles.
    Folglich benahmen sich einige Zuschauer etwas merkwürdig und fahrlässig – während der dritten oder vierten Runde kam es sogar zu einer Rauferei, einem regelrechten Kampf in den hinteren Reihen, den die Fernsehkameras nicht zeigten, und zu einem unübersichtlichen Aufruhr, den erst die Sicherheitsleute unter Kontrolle zu bringen vermochten. Einige Frauen bargen ihr Gesicht in den Händen, einige Männer stießen nicht den ritualisierten Schrei «Gib’s ihm!» aus oder sogar «Bring ihn um!», sondern kreischten wie ein gequälter Papagei – vielleicht waren dies die «Weiberschreie», von denen Tyson lustigerweise behauptete, Biggs habe sie ausgestoßen, als er getroffen worden sei. Der Boxing Commissioner des Staates New York, der ehemalige Champion im Halbschwergewicht José Torres, vergaß sich schier und brüllte Kommandos in Richtung Tyson (der ihn ebenso ignorierte wie alles andere außerhalb des Rings) und Tysons Betreuer (die viel zu weit weg waren, um ihn hören zu können, falls sie ihn überhaupt hören wollten). Torres’ heftige Handzeichen und Kommandos – eines davon lautete: «Sechs-fünf!» – wären einem sehr rätselhaft, wenn nicht sogar deplatziert vorgekommen, hätte man nicht gewusst, dass Torres wie Tyson ein ehemaliger Schützling von D’Amato war und es sich als ehemaliger Champion einfach nicht verkneifen konnte, an einem so faszinierenden Kampf teilzunehmen. Das Merkwürdigste aber, von den Fernsehkameras diskret ignoriert, war ein drohendes Gerangel zwischen Biggs’ Chefbetreuer, dem gefürchteten Lou Duva, und dem Promoter des Kampfes, Don King persönlich, unmittelbar im Anschluss an den Kampf. Die beiden Männer mussten mit Gewalt daran gehindert werden, aufeinander loszugehen. Während die Fernsehzuschauer zu sehen bekamen, wie der triumphierende Tyson durch den Ring stolzierte und der benebelte Biggs auf dem Boden saß und von einem Arzt versorgt wurde, beobachteten die meisten von uns fasziniert, wie der wohlbeleibte, nicht mehr ganz junge Lou Duva durch die Seile zu klettern versuchte, um auf Don King auf seinem Ringplatz loszugehen; die beiden Herren brüllten einander aus Gründen an, die nur ein paar Insider wissen konnten: King hatte unmittelbar nach dem ersten Niederschlag die Beendigung des Kampfes verlangt, da er ein «Massaker»

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