Über Boxen
Richter überstimmte, der Ali den Status eines Wehrdienstverweigerers aus Gewissensgründen zugebilligt hatte, und verurteilte Ali zu zehntausend Dollar Strafe und fünf Jahren Gefängnis; außerdem wurde ihm der Schwergewichtstitel aberkannt und die Boxlizenz entzogen. Letztendlich hob der Oberste Gerichtshof das Urteil auf, und als der Vietnamkrieg Anfang der Siebzigerjahre langsam abkühlte und sich die öffentliche Meinung im Lande wandelte, kehrte Ali triumphierend in den Boxring zurück und gewann den Titel im Schwergewicht nicht nur einmal, sondern gleich zweimal. Die Jahre der Verbannung, in denen er die wütende Selbstgerechtigkeit der konservativen weißen Presse hatte erdulden müssen, schienen ihn wunderbarerweise nicht verbittert zu haben. Er war ein Held geworden. Er war zum Mythos geworden.
In Dave Andersons Buch «In the Corner» 7 findet sich auch ein Kapitel über Angelo Dundee, dessen schwermütiger Titel «We Never Saw Muhammad Ali at His Best» («Wir haben Muhammad Ali nie in Bestform gesehen») darauf hinweist, welche Opfer Ali seinen Prinzipien gebracht und welchen Verlust dies für das Boxen bedeutet hat. Als Ali nach dreieinhalb Jahren Zwangspause in den Ring zurückkehrte, war er natürlich nicht mehr der scheinbar unbesiegbare Boxer von ehedem, er hatte die Schnelligkeit in den Beinen verloren und damit seine wichtigste Verteidigungstaktik. So wie der erfahrene Schriftsteller lernt, die weißglühende, ungestüme Energie der Jugend durch so genannte Technik zu ersetzen, wurde Ali auf seine Körperlichkeit zurückgeworfen und musste zum ersten Mal richtige Prügel einstecken («fast wie Sterben»). Das ist das Los aller großen Boxer, die bereit sind, sich auf den Prüfstand zu stellen. Ferdie Pacheco, Alis damaliger Ringarzt, sagte:
[Ali] entdeckte etwas, das gleichzeitig sehr gut war und sehr schlecht. Schlecht insofern, als es zu den körperlichen Schäden in seiner späteren Laufbahn führte, und gut, weil es ihm schließlich die Meisterschaft zurückbrachte. Er entdeckte, dass er Schläge wegstecken konnte.
Das Geheimnis von Alis spätem Erfolg und das Geheimnis seiner Tragödie: Er konnte Schl ä ge wegstecken.
In der zweiten Hälfte seiner zwanzigjährigen Karriere steckte Muhammad Ali so manchen Schlag weg, der einen Nicht-Boxer sofort umgebracht hätte – von Joe Frazier in drei strapaziösen Marathonkämpfen, von George Foreman, Ken Norton, Leon Spinks und Larry Holmes. Während Ali in seiner nichtsnutzigen Jugend eine schillernde Erscheinung war, eine Kombination aus, sagen wir, dem dreisten Hotspur und Lears unbefangenem Narren, 8 so wird er in diesen finsteren, trübsinnigen, zunehmend starrsinnigen Kämpfen Lear selbst so ähnlich, wie dies einem Boxer überhaupt möglich ist – oder vielmehr: Da es zu einem großen Kampf zwei große Boxer braucht, sind die Titelkämpfe Ali/Frazier I (den Frazier nach Punkten gewann) und Ali/Frazier III (den Ali ganz knapp gewann, als Frazier nach der vierzehnten Runde buchstäblich zusammengebrochen war) das sportliche Gegenstück zu «König Lear» – Zerreißproben für unfassbare menschliche Tapferkeit und Belastbarkeit auf dem Niveau der klassischen Tragödie. Diese düsteren, fürchterlichen Boxkämpfe bringen uns ob ihrer Sinnlosigkeit zum Weinen; wir scheinen vor menschlichen Erfahrungen zu stehen, die zu unergründlich sind, um benannt zu werden, die weit über die syntaktischen Schliche und Schmälerungen der Sprache hinausgehen.
Des Mystikers dunkle Nacht der Seele, verwandelt in eine brutale Meditation des Körpers.
Und Ali/Foreman, Zaire1974 , die berüchtigte Rope-a-dope- Verteidigung: Der zweiunddreißigjährige Ali lässt zu, dass sich sein sechsundzwanzigjähriger Gegner mit Schlägen gegen seinen Körper und seine Arme völlig verausgabt, eine ebenso originelle wie simple und entsetzliche Methode. Es ist ein magischer Kampf; selbst wenn man ihn genauestens verfolgt, sieht man nicht, was da abläuft, wie diese märchenhafte Kehrtwende in der achten Runde vollzogen wird. (Norman Mailers «Der Kampf», eines seiner leidenschaftlichsten Bücher, handelt von dieser Begegnung; ich habe auf einem Video gesehen, wie Ali in den Seilen hängt und seinen Gegner durch einen als Verteidigung getarnten Angriff lockt, aufstachelt, entmutigt und schließlich erschöpft, und habe überlegt, welche heimlichen Lektionen in Masochismus Mailer sich an jenem Tag am Ring wohl geholt hat und ob er da den unerschütterlichen Entschluss
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