Über Boxen
Unterschicht? Es gibt Waffen im Überfluss, selbst für Kinder ist es möglich, einen Gegner aus sicherer Entfernung zu töten. Mike Tysons prahlerischer Ausruf nach seinem Sieg über den 12:1-Außenseiter Carl Williams bei der Titelverteidigung 1989 «Ich will kämpfen, kämpfen, kämpfen und die ganze Welt zerstören!» hat einen beißenden, fragwürdigen Beigeschmack, selbst wenn wir von den späteren Katastrophen in Tysons Leben und Karriere noch nichts wüssten.
Man denke an den altehrwürdigen Ausspruch eines Boxtrainers: «Wenn du sie richtig triffst, verschwinden sie alle.»
Diese Themen finden sich implizit auch in Thomas Hausers Büchern «Muhammad Ali: His Life and Times» und «The Black Lights: Inside the World of Professional Boxing» , 4 aber nur in letzterem wird über theoretische, historische und psychologische Fragen nachgedacht. Hauser sieht das Boxen als «Rotlichtviertel des Profisports», in dem sich einzelne Menschen von herausragendem Talent, Mut und Anstand allen Umständen zum Trotz durchsetzen. «Ali» ist das stärkere, ehrgeizigere der beiden Bücher, passend zu seinem Ausnahmethema, dem berühmtesten und bis vor Kurzem auch höchstbezahlten Athleten aller Zeiten. Als autorisierte Biografie müsste sie eigentlich maßgeblich sein und ist sicherlich erschöpfend; Hauser hat mit dem Gegenstand seines Buchs sowie mit etwa zweihundert weiteren Menschen Tausende von Stunden verbracht und Einblick in Alis Krankenakten erhalten. Der Text ordnet diese Zeugnisse zu einer chronologischen Geschichte, bei der sich der Autor zwischen den Aussagen der anderen vernehmen lässt, diese jedoch selten kommentiert und noch viel weniger kritisiert. (Eine typische New-Age-Biografie?) Mitfühlend, intelligent und unparteiisch, hätten «Muhammad Ali: His Life and Times» ein gründliches Lektorat und manche Umformulierung gutgetan. Bestimmte Themen (ein bevorstehender Kampf, Geldgeschäfte, Alis Eheprobleme, Alis gesundheitliche Probleme, die Nation of Islam und anderes) gehen in einem Wust von Worten unter; Daten selbst wichtiger Kämpfe sind oft schwierig auszumachen. Und im Anhang keine Liste von Alis Profikämpfen! Ein erstaunliches Versäumnis – als ob Alis Leistungen als Athlet nicht der Hauptgrund für dieses Buch gewesen wären.
In Hausers Buch «The Black Lights» allerdings findet der Leser in dem knappen Kommentar zum Phänomen Ali und in der klugen Analyse der Boxwelt (einschließlich Don Kings Rolle) so etwas wie die dazugehörigen Fußnoten. Am besten liest man die Bücher im Doppelpack. Der ominöse Titel «The Black Lights» zitiert eine Äußerung von Ali 1967:
Es heißt, wenn man getroffen wird und schlimm verletzt, sieht man schwarze Lichter, die schwarzen Lichter der Bewusstlosigkeit. Ich kenne mich da nicht aus. Ich habe achtundzwanzig Kämpfe gehabt und achtundzwanzigmal gesiegt; mich hat keiner aufhalten können.
Muhammad Ali, Enkel eines Sklaven, geboren am 17. Januar 1942 als Cassius Marcellus Clay in Louisville, Kentucky, begann mit zwölf Jahren zu boxen und hatte mit achtzehn schon einhundertacht Amateurkämpfe absolviert. Wie kann es sein, dass der junge Mann, der in seinen Zwanzigern die Welt nicht nur mit seinen glanzvollen Boxkünsten, sondern auch mit seiner verbalen Schlagfertigkeit in Staunen versetzte, auf der Highschool offenbar ein begriffsstutziger, durchschnittlicher Schüler war, der die Schule als 376. von 391 seines Jahrgangs abschloss und 1966 bei der Musterung einen nicht ausreichenden Army- IQ von 78 bescheinigt bekam? 1975 bekannte Ali einem Reporter gegenüber, dass er «nicht besonders gut lesen» könne und keine zehn Seiten von dem gelesen habe, was über ihn geschrieben worden sei. Ich erinnere mich an ein Fernsehinterview, in dem er gefragt wurde, was er sonst noch mit seinem Leben hätte anfangen können. Ali schwieg ein paar Sekunden und wusste offensichtlich nicht, was er antworten sollte. Schließlich sagte er, alles, was er je gelernt habe, sei Boxen.
Intelligenztests können geniale Begabung nur in sehr engen Bereichen messen, und körperliche Genialität, das Zusammenspiel von blitzschnellen Reflexen, unbedingter Exaktheit und Selbstvertrauen, entzieht sich jeder Erfassung. Alle großen Boxer besitzen diese Genialität, die hartes Training vervollkommnen, aber niemals erschaffen kann. «Der Stil macht den Kampf», sagt Alis großer Trainer Angelo Dundee, und das Markenzeichen des jungen Ali war sein «Stil». Doch selbst nach frühen Siegen
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