Über Boxen
regelrecht verwunderlich, dass das Buch mit diesem Sieg endet. Wenig später wird Billy Costello die «schwarzen Lichter der Bewusstlosigkeit» zu sehen bekommen, in einem Kampf gegen einen umwerfend arroganten, eigenartigen, von Ali inspirierten jungen Boxer namens «Lightning» Lonnie Smith, der Costello vor dem Publikum seiner Heimatstadt Kingston k . o. schlagen wird, ein Albtraum für alle Boxer. Nach dieser vernichtenden Niederlage wird Costello noch gegen den alternden Alexis Arguello kämpfen, einen der bedeutendsten Leichtgewichtsboxer der Gegenwart, der ihn schonungslos zusammenschlägt und seiner Karriere ein Ende setzt. Das Buch mit einem vorläufigen Sieg enden zu lassen und nicht wenigstens eine Coda anzuhängen, die uns bis zum Zusammenbruch von Billy Costellos Karriere führt, nimmt dem Buch die Bedeutung, die es hätte haben können – denn im Boxen geht es viel mehr ums Scheitern als um den Erfolg. Um es mit den Worten des böse zugerichteten Saoul Mamby zu sagen: «Es wird mir fehlen. Ich liebe das Boxen. Alles war so schnell vorbei.»
MUHAMMAD ALI:
DER GRÖSSTE
Ich wollte unbedingt der eine Nigger sein,
den der weiße Mann nicht kriegt.
Muhammad Ali, 1970
Das Boxen war nichts. Es war ganz unwichtig.
Das Boxen war bloß dazu da, mich der Welt zu präsentieren.
Muhammad Ali, 1983
Der Sport hat sich im 20. Jahrhundert und vielleicht am eindrucksvollsten in den Siebzigerjahren zur dominierenden Religion in Amerika entwickelt. Durch den aufgeregten, kritischen Blick der Medien erlangen unsere berühmtesten Athleten ein geradezu mythopoetisches Ansehen; sie sind einerseits «überlebensgroß», andererseits oft unfähig zu einem normalen Privatleben. Um ein Champion zu werden, muss man nur anhaltend bessere Leistungen erbringen als seine Mitstreiter; um ein ganz großer Champion wie Muhammad Ali zu werden, muss man die Grenzen des Sports sprengen und zum Modell (in manchen Fällen auch zum Opfer) für die breite Masse werden, zum Imageträger einer ganzen Epoche.
Er war schon als außerordentlich junger Mann in den Sechzigerjahren ein kompletter Boxer und machte sich in diesem Jahrzehnt mit seiner radikalen politischen Haltung einen Namen, aber wirkliche Größe erreichte Ali erst in den Siebzigerjahren. Die Siebzigerjahre nach dem unrühmlichen Ende des Vietnamkriegs sind unser Jahrzehnt des Übergangs, eine Zeit der Anpassung, Heilung und Neubewertung. Wer hätte gedacht, dass Muhammad Alis trotzige Ablehnung der amerikanischen Außenpolitik, die Mitte der Sechzigerjahre praktisch als verräterisch galt, in der folgenden Dekade zu einer weitverbreiteten und durchaus seriösen politischen Haltung werden würde? Wer hätte gedacht, dass ein aus der Reihe tanzender schwarzer Athlet wie Ali, einst von den Medien verfemt, zum Symbol der «neuen» Ära werden würde, in der sich Spitzensportler wie Reggie Jackson (seit 1914 der erste Baseballer mit Schnurrbart), Alis Beispiel folgend, durch scherzhafte, theatralische Gesten ausdrücken (oder produzieren) konnten, die mit ihrer eigentlichen Aufgabe wenig zu tun hatten? Wer hätte gedacht, dass ein so extravagantes, umstrittenes Gebaren wie Alis Neigung zum Deklamieren von Gedichten und der spaßige Ali shuffle eine ganze Generation von Schwarzen beeinflussen würde – in der Musik, wo der «Rap» Furore machte, und in den bissigen Nummern eines Komikers wie Richard Pryor 1 , vor allem aber im Basketball, wo Spieler vom Kaliber eines Michael Jordan 2 wie Ali außerordentliches Können mit einem persönlichen Stil verbanden? (Man vergleiche einmal das bescheidene, verlegene Auftreten von Joe Louis, Ezzard Charles, Jackie Robinson 3 in früheren Zeiten, als man einem schwarzen Sportler zu verstehen gab, dass seine Anwesenheit nur vorläufiger Natur sei und er kein Recht darauf habe, und dass schon seine Karriere ein Privileg sei, das man ihm jederzeit entziehen könne.) Das Phänomen der medialen Aufmerksamkeit und Hysterie, die jeder Wendung von Alis Karriere zuteilwurde, hatte es vorher nie gegeben, und auch die ständig wachsenden Kampfbörsen und Gehälter von Profisportlern in unserer Zeit sind eine Folge von Alis Rolle im öffentlichen Bewusstsein. Vielleicht wäre es bei Sportarten wie Baseball und Football im Lauf der Zeit von selbst zur freien Vertragswahl der Sportler gekommen, aber ohne Alis Vorbild nicht schon in den Siebzigerjahren, als es zum Beispiel 1974 zu einem Streik im Football kam. Ali ist der Inbegriff des free agent 4 , wie
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